„Schuldenphobie“- So ändern sich die Ansichten zu Staatsschulden

Sieh an, sieh an Timotheus….so ändern sich die Ansichten! 

„Abschied von der Schuldenphobie

 (Handelsblatt v.8.6.2020 S.12)

Das Konjunkturpaket ist überzeugend. Es reicht aber nicht aus, um Deutschland in die Zukunft zu führen, meint Bert Rürup.

…Das Wichtigste wäre aber eine realistische Einschätzung darüber, wer künftig die zuverlässigen (Handels-)Partner und Freunde sein werden. So mag die deutsche Exportwirtschaft im Chinageschäft zuletzt hohe Wachstumsraten erzielt haben. Doch die deutschen Exporte in die Staaten Europas waren im Jahr 2019 rund viermal so hoch wie die gesamte Ausfuhr nach Asien. Ein stabiles und prosperierendes Europa ist also gerade in einer protektionistischer werdenden Welt im ureigenen Interesse Deutschlands. Daher ist es richtig, jetzt mit einem gemeinsamen solidarischen „Wiederaufbauprogramm“ die Wirtschaft Europas nachhaltig zu stärken.

Die damit verbundenen Staatsschulden müssen von den nachfolgenden Generationen bedient werden, sind aber kein Problem, wenn das Wirtschaftswachstum höher ist als der Zinssatz für die Schulden. Da aber eine Rückkehr der Inflation auf absehbare Zeit nicht zu erwarten ist, kann die EZB ihre Nullzinspolitik noch länger fortsetzen, um die Währungsunion zusammenzuhalten und zu stabilisieren.

Es wäre also an der Zeit, dass auch die Deutschen ihre Schuldenphobie kritisch hinterfragen. Denn Staatsschulden sind per se ebenso wenig schlecht, wie Haushaltsüberschüsse zwangsläufig gut sind. Denn es spricht nichts dagegen, zukunftsträchtige und damit vorrangig den künftigen Generationen zugutekommende Investitionen auf Kredit zu finanzieren. Anders als oft behauptet ist das „Wiederaufbaupaket“ der EU keineswegs ein Programm zulasten künftiger Generationen, sondern eher eines zu deren Gunsten. Wenn die Deutschen und nicht wenige ihrer Politiker zudem noch erkennen würden, dass die Länder Südeuropas nicht nur als sonnige Urlaubsziele für sie von Interesse sind, sondern dass die eigene ökonomische Zukunft von Befindlichkeit, Zusammenhalt und Zukunftsperspektiven der gesamten EU abhängt, dann hätte die Pandemie langfristig womöglich auch etwas Gutes bewirkt. (Hervorhebung, M.B.)

Bekanntlich steckt in jeder Krise auch stets eine Chance, die es nun zu nutzen gilt.

Der Autor ist Chefökonom des Handelsblatts und Präsident des Handelsblatt Research Institute.Sie erreichen ihn unter: rürup@handelsblatt.com.“