Berliner Verfassung reformieren – die Unregierbarkeit beenden!

Sie wollen es nicht wissen – vom Versagen des Landes Berlin

Berliner Verfassung reformieren – die Unregierbarkeit beenden!

Das Klagen über die Unregierbarkeit Berlins ist sattsam bekannt (vgl.NZZ -online vom 31.10.2021,     https://www.nzz.ch/meinung/der-andere-blick/wieso-laeuft-doch-ld.1652124). Es wird jetzt getoppt durch das Urteil des Berliner Verfassungsgerichts. Um dem abzuhelfen, schlage ich im Folgenden vor,  die heutige zweistufige Berliner Verfassung  (Senatsverwaltung und Bezirksverwaltungen) durch  eine einstufige Verfassung zu ersetzen.

Der Kern des in Berlin beklagten Wirrwarrs in Angelegenheiten der Verwaltung besteht nicht im fehlenden Wollen der Verwaltungsmitarbeiter:innen oder der Politik. Beim besten Willen: die Mitarbeiter:innen oder die Politiker:innen mögen wollen. Können tun sie es nicht. Es ist die offensichtliche Desorganisation und fehlende Eindeutigkeit von Strukturen und Funktionen – bis hinein in Landesverfassung, die Landesgesetze und Verordnungen. Die in Berlin Regierenden wollen es nicht wissen.

Ein vergleichender erster Blick in die beiden unterschiedlichen Verfassungstypen macht das deutlich: Grund der Fehlorganisation ist offensichtlich der Umstand, dass es in Berlin nicht gelingt oder gelungen ist, die Gemeindeverfassung mit der staatlichen Landesverfassung zu einem funktionierenden Ganzen zu verbinden. Staat und Gemeinden (Senat und die 12 Bezirke) stehen – bei allen gut gemeinten Versuchen des Ausgleichs zwischen Staat und Gemeinde  – in einem nicht zu vertretenden andauernden Zuständigkeitsdialog.

Für die Bürger:innen ist diese Differenzierung (in Senats- und eigenständige Bezirksverwaltungen) weder plausibel noch erträglich. Ihre Begegnung mit der Stadt erfüllt sich beim persönlichen Anmelden, Ummelden, Passverlängern,  Fahrzeug an- und abmelden, dem Bezug von Wohn- und Kindergeld, Sozialhilfe, der Aufenthaltserlaubnis, Bauantrag usw. Dabei ist es der Bürger:in gleichgültig, ob im Einzelfall Bezirk oder Senat zuständig ist. Es geht um Effizienz, Termintreue und schnelle Erledigung oder mit Freundlichkeit erteilten Rat. 

Überträgt man die Einheitsverfassung auf den Verfassungs-Mix in Berlin, so ergibt sich folgende Gegenüberstellung der Verfassungstexte:

Geltende Berliner Landesverfassung    Vorschlag einer Neufassung

Art. 66 VvB  alt– Beteiligung der Bezirke
Die Verwaltung ist bürgernah im demokratischen und sozialen Geist nach der Verfassung und den Gesetzen zu führen.
(2) Die Bezirke erfüllen ihre Aufgaben nach den        Grundsätzen der Selbstverwaltung. Sie nehmen        regelmäßig die örtlichen Verwaltungsaufgaben        wahr.
(3) Das Nähere wird durch Gesetz geregelt.


Art. 66 VvB neu – Beteiligung der Bezirke
(1) Im Stadtstaat Berlin werden staatliche und gemeindliche Tätigkeit nicht getrennt.
(2) Durch Gesetz sind für Teilgebiete (Bezirke) Bezirksämter zu bilden, denen die selbstständige Erledigung übertragener Aufgaben obliegt. 
An der Aufgabenerledigung wirken die Bezirksversammlungen nach Maßgabe des Gesetzes mit.
(3) Die Bezirksversammlungen werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. 
Wahlvorschläge, nach deren Ergebnis sich die Sitzanteile in den Bezirksversammlungen bestimmen, werden nur berücksichtigt, wenn sie mindestens drei vom Hundert der insgesamt auf solche Wahlvorschläge abgegebenen gültigen Stimmen erhalten haben.
Das Gesetz bestimmt das Nähere.
Art. 67 VvB  alt– Zuständigkeit der Hauptverwaltung
Der Senat nimmt durch die Hauptverwaltung die Aufgaben von gesamtstädtischer Bedeutung wahr. Dazu gehören: die Leitungsaufgaben (Planung, Grundsatzangelegenheiten, Steuerung, Aufsicht),
2.    die Polizei-, Justiz- und Steuerverwaltung,
3.     einzelne andere Aufgabenbereiche, die wegen           ihrer Eigenart zwingend einer Durchführung in           unmittelbarer Regierungsverantwortung           bedürfen.
(2)  Die Ausgestaltung der Aufsicht wird durch Gesetz geregelt. Es kann an Stelle der Fachaufsicht für einzelne Aufgabenbereiche der Bezirke ein Eingriffsrecht für alle Aufgabenbereiche der Bezirke für den Fall vorsehen, dass dringende Gesamtinteressen Berlins beeinträchtigt werden.
(3) Die Bezirke nehmen alle anderen Aufgaben der Verwaltung wahr. Der Senat kann Grundsätze und allgemeine Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeit der Bezirke erlassen. Er übt auch die Aufsicht darüber aus, dass diese eingehalten werden und die Rechtmäßigkeit der Verwaltung gewahrt bleibt.
(4) Die Aufgaben des Senats außerhalb der Leitungsaufgaben werden im Einzelnen durch Gesetz mit zusammenfassendem Zuständigkeitskatalog bestimmt. Im Vorgriff auf eine Katalogänderung kann der Senat durch Rechtsverordnung einzelne Aufgaben der Hauptverwaltung den Bezirken zuweisen.
(5) Zur Ausübung der Schulaufsicht können Beamte in den Bezirksverwaltungen herangezogen werden.
(6) Einzelne Aufgaben der Bezirke können durch einen Bezirk oder mehrere Bezirke wahrgenommen werden. Im Einvernehmen mit den Bezirken legt der Senat die örtliche Zuständigkeit durch Rechtsverordnung fest 
Art. 68 VvB alt – Rat der Bürgermeister
Den Bezirken ist die Möglichkeit zu geben, zu den grundsätzlichen Fragen der Verwaltung und Gesetzgebung Stellung zu nehmen. (2) Zu diesem Zweck finden regelmäßig mindestens         einmal monatlich gemeinsame Besprechungen         des Regierenden Bürgermeisters und des        Bürgermeisters mit den Bezirksbürgermeistern      oder den stellvertretenden Bezirksbürgermeistern als        Vertretern des Bezirksamts statt (Rat der        Bürgermeister).
Art. 67 VvB neu – Zuständigkeit der Hauptverwaltung
Die Regierende Bürgermeisterin (Präsidentin des Senats) oder der Regierende Bürgermeister (Präsident des Senats) und die Senatorinnen und Senatoren bilden den Senat.
(2) Der Senat ist die Landesregierung. Er führt        und beaufsichtigt die Verwaltung. 


























Art. 68 VvB neu = alt – Rat der Bürgermeister und Bürgermeisterinnen
Den Bezirken ist die Möglichkeit zu geben, zu den grundsätzlichen Fragen der Verwaltung und Gesetzgebung Stellung zu nehmen.
(2) Zu diesem Zweck finden regelmäßig        mindestens einmal monatlich gemeinsame         Besprechungen des Regierenden          Bürgermeisters, der Regierenden         Bürgermeisterin und des Bürgermeisters,           der Bürgermeisterin,  mit         den Bezirksbürgermeistern, den          Bezirksbürgermeisterinnen oder den         stellvertretenden Bezirksbürgermeistern,          Bürgermeisterinnen als         Vertretern des Bezirksamts statt (Rat der         Bürgermeister und Bürgermeisterinnen).

Entscheidend ist die Abschaffung des Vorrangprinzips der gemeindlichen Selbstverwaltung der 12 Berliner Bezirke (vgl. § 4 AZG  (Allgemeines Zuständigkeitsgesetz). Diese überkommene, an der früheren Dorfstruktur orientierte, zweigeteilte Verfassung des Landes Berlin ist mit dem jetzigen komplexen und örtlich selten begrenzbaren, hoch vernetzten Aufgabenspektrum einer Hauptstadt nicht mehr vereinbar. 

Die 12  Bezirke (Bezirksversammlungen und Bezirksämter) bleiben zwar erhalten. Der Bezirk verliert indes die Garantie gemeindlicher Selbstverwaltung seiner Angelegenheiten. Rechtstechnisch wird mit der neuen Verfassung der Bezirk von der Gemeinde zum untergeordneten Gliedstaat. Ihm werden sämtliche (also hoheitliche und gemeindliche) Aufgaben durch Landesgesetz zur selbständigen Erledigung übertragen. Für die Bürger:in ändert sich nichts. Innerhalb der Verwaltung tritt allerdings mit der Einstufigkeit in sämtlichen Entscheidungen eine eindeutige Entscheidungskette mit der Letztverantwortlichkeit des Senats.

Die Folgen einer derartigen Anpassung an eine zukunftsgerichtete einstufige Stadtorganisation, die sich nicht in Zuständigkeitsfragen erschöpft, führt aus Sicht der Bürger:in zu einem Gewinn an direkter Teilhabe und Effizienz. Für die Mitarbeiter:innen ändert sich in Stellung, Eingruppierung und Tätigkeit nichts. Die Umsetzung der Gesetze, Verordnungen und Erlasse ist mit geringem Verwaltungsaufwand – wenn man mit den gebotenen Anpassungen im Wesentlichen den Vorschriften der bewährten einstufigen Modelle folgt – auch zeitnah machbar. 

Nach Art.100 VvB erfordert die Änderung der Verfassung im vorliegenden Fall eine Mehrheit von zwei Dritteln der gewählten Mitglieder des Abgeordnetenhauses.

M.B. Lübeck, 4.11.21