Warum das Moralgerede der gegenwärtigen Politikelite Vertrauen zerstört und widerwärtig ist

Moral Woman/Moral Man

Keine Auslandsreise oder kein Inlandsauftritt unserer Außenministerin oder unseres Wirtschaftsministers bleibt ohne Betonung der hohen moralischen Selbsteinordnung ihres Handelns oder der Aufforderung zu moralischem Handeln : „Ich bin hier und tue dies und das, weil ich die europäische Wertegemeinschaft, die Gerechtigkeit, den Weltfrieden usw. verteidigen, fördern, vertiefen……und so weiter will…Sie können sicher sein, dass ich, wir, unser Land …. Sie bei diesem Kampf, diesem Vorgehen, dieser Haltung in Bezug auf die Menschenrechte usw. …voll umfänglich unterstützt.“

Derartige Rede ist zerstörerisch und sie erniedrigt. Sie ist arrogant, weil sie vom hohen Ross gesprochen und heuchlerisch, weil sie durch und durch verlogen ist. Denn die Politik unseres Landes ist an keiner Stelle – an Moralwerten gemessen – wertebestimmt. Denn sie ist nicht universell. Werte sind aber universell oder gar nicht. Jedes Land behandeln wir unterschiedlich, je nach Interesse und politischem Kalkül . Äthiopien anders als die USA, Ouagadougou anders als Paris. 

Arm anders als Reich: Reicher Mann und armer Mann standen da und sah’n sich an, und der Arme sagte bleich: „Wär ich nicht arm wärst du nicht reich“(Bert Brecht 1934). Von einer gleichen Augenhöhe des Autowäschers und der Vorstandsvorsitzenden will ich gar nicht reden. Nicht Moral, sondern Machtverhältnisse beherrschen die Politik.  Das weiß jeder.

Warum tun sie es dann?  Moral wird zu einer reinen Sache der Imagepflege für die Fans zuhause auch vom Ausland her. Sonst nichts. Sie wissen, Moral hat in der Öffentlichkeit nach wie vor den höchsten Werbewert. Es ist eine seit alters funktionierende Werbebotschaft:  „Ich bin das Licht und erlöse dich von dem Übel“. Diese Botschaft beeindruckt inländische Fans und im Ausland gleicherweise. 

Das Moralgerede verdeckt Widersprüche und die eigenen Interessen. Es gibt Aufmerksamkeit und vermittelt vermeintlich Nähe. Werte steuern den Alltag, das Blabla verfängt deshalb und gelingt ohne viel zu wissen (das Wissen wäre aber gerade dafür erforderlich). Es ist ein Reden „über“ und kein Reden „mit“. Es ist nichts, als eine verlogene Botschaft. „Mit der Moral auf ihrer Seite erklären sie noch iede Patrone und jeden Panzer, demnächst wohl auch die Lieferung des deutschen Kampfpanzers Leopard 2 zur notwendigen Unterstützung“ schreibt Barbara Junge in der taz (12.1.2023 S.1). 

Widerlich.

P.S. Man mag über Waffenlieferungen streiten, mit Moral hat das jedenfalls nichts zu tun

Michael Bouteiller, 15.01.2023