
Autor: Michael Bouteiller
1943,
Richter am Verwaltungsgericht Minden,
Gründung IBZ Friedenshaus (Internationales Begegnungszentrum) Bielefeld,
Aufbau und Leitung Wasserschutzamt Bielefeld,
Bürgermeister a.D. Lübeck,
Rechtsanwalt bis April 2024, Autor


Film von Stefan Tolz und Niko Remy-Richter aus 1989 führt in die politischen und gesellschaftlichen Konflikte der Grenzstadt Lübeck 1988 – ein Jahr vor der Deutschen Revolution. Nationale und internationale Atom- und Mülltransporte führten durch Lübeck. Dieser Umschlagplatz rückte – anders als die Weltstadt des Warenmarktes im Norden Europas der Hansezeit – ins Zentrum europäischer Atom- und Müllpolitik
Die Macht liegt woanders
Wie der Faschismus sich hinter einer patriotischen Fassade verbirgt und – ohne Hinderung durch Zivilgesellschaft, Verfassungsgericht und sonstige staatliche Gegenwehr – die Präsidentschaft erobert, lernt man in dem Interview.
Marine Le Pen
„Also ja, Politik ist Gewalt“
Die Rechtsextreme Marine Le Pen wird immer beliebter, 2022 könnte sie zur französischen Präsidentin gewählt werden. Ein Gespräch mit der einzigen Konkurrentin Emmanuel Macrons
Interview: Elisabeth Raether und Annika Joeres
5. Mai 2021, 11:39 Uhr Editiert am 7. Mai 2021, 8:52 Uhr DIE ZEIT Nr. 19/2021, 6. Mai 2021 90 Kommentare
EXKLUSIV FÜR
Die Parteichefin des Rassemblement National im März 2021 © Raphaël Lafargue/ ABACAPRESS/ ddp images
INTERVIEW: MARINE LE PE
Die Rechtsextreme Marine Le Pen wird immer beliebter, 2022 könnte sie zur französischen Präsidentin gewählt werden. Ein Gespräch mit der einzigen Konkurrentin Emmanuel Macrons
Marine Le Pen empfängt uns in ihrem Abgeordnetenbüro in der Pariser Nationalversammlung. Sie trägt Schuhe mit sehr hohen Absätzen, sitzt an einem nicht besonders aufgeräumten Schreibtisch. Hinter ihr ragen drei enorme französische Flaggen empor, sie wirken viel zu groß für den Raum, in dem außerdem zwei Mitarbeiter an ihren Schreibtischen etwas in Computer tippen. Marine Le Pen blickt erwartungsvoll, höflich, wenn auch distanziert. Es wird kein Wort zu viel gewechselt, kein Kaffee eingeschenkt. Sie schießt die Antworten hervor, mit ihrer tiefen, kräftigen Stimme, sie redet schnell, eine Freude am Schlagabtausch ist ihr anzumerken. Zwischendurch ärgert sie sich doch über die beiden deutschen Journalistinnen, dann zieht sie an ihrer E-Zigarette. Die Pressesprecherin mahnt immer wieder zur Eile und beendet das Gespräch zehn Minuten vor der vereinbarten Zeit.
DIE ZEIT: Madame Le Pen, in den Umfragen erreichen Sie im Moment an die 48 Prozent der Wählerstimmen. Sie könnten nächstes Jahr französische Präsidentin werden. In Deutschland ist aber kaum die Rede von Ihnen. Überrascht es Sie, dass Sie immer noch unterschätzt werden?
Marine Le Pen: Ja, das ist sehr überraschend. Das ist nun meine dritte Präsidentschaftswahl, bei der letzten war ich im zweiten Wahlgang, und bei dieser könnte ich gewinnen. Ich habe den Eindruck, Deutschland nimmt nur diejenigen Politiker wahr, von denen es sich in Europa Vorteile erhofft. Meine Partei war es, die den großen Konflikt zwischen Globalisierern und Patrioten aufgedeckt hat – das hat die alte Trennlinie zwischen Linken und Rechten ersetzt. Nur die Deutschen haben das noch nicht begriffen.
ZEIT: Vor vier Jahren wollten Sie, dass Frankreich aus der EU aussteigt, von dieser Idee haben Sie sich verabschiedet. Warum?
Le Pen: Die EU hat sich meiner Partei, dem Rassemblement National, angenähert. Deutschland ist für eine strenge Sparpolitik in ganz Europa verantwortlich, dieses Dogma wankt nun mit Corona. Deshalb glauben wir, Europa besser von innen verändern zu können als von außen. Wir sind optimistisch, dass der Sparkurs beendet ist.
ZEIT: Sie wollen im Euro bleiben, und auch bei einem anderen wichtigen Thema haben Sie Ihre Meinung geändert: Sie leugnen den Klimawandel nicht mehr, sondern machen ihn zum großen Thema Ihres Wahlkampfs.
Le Pen: Ich habe noch nie den Klimawandel geleugnet.
ZEIT: Sie haben noch 2017 gesagt, Sie wüssten nicht, ob der Klimawandel menschengemacht ist …
Le Pen: Ich habe lediglich gesagt, wir wissen nicht, wie groß der Anteil des Menschen am Klimawandel ist. Ich finde, jeder Patriot muss ökologisch denken. Aus einem einfachen Grund: Ein Nomade kommt in eine Oase, er isst alle Datteln, trinkt das Wasser aus dem Brunnen, und wenn nichts mehr da ist, zieht er weiter. Wir aber sind sesshaft, verwurzelte Patrioten. Unser ultraliberales Wirtschaftsmodell führt uns in den Abgrund. Solange unsere Produkte in zehntausend Kilometer Entfernung produziert und dann hierher transportiert werden, kann sich niemand rühmen, ökologisch zu handeln. Die Produkte müssen hier hergestellt und verarbeitet werden, nicht in den armen Ländern der Welt.
ZEIT: Ihrer Meinung nach ist die Ökologie also kein Thema der Linken?
Le Pen: Nein, absolut nicht. Die Linke hat das Thema gekapert. Historisch ist die Umweltbewegung von den Rechten gegründet worden. Ich sage Ihnen, was wir wollen: Beispielsweise wollen wir die Windräder, soweit es geht, stilllegen und die Atomanlagen weiterlaufen lassen. Deutschland steigt aus der Atomkraft aus, aber es fügt mit seinen Kohlekraftwerken dem Planeten erheblichen Schaden zu. Je nach Windrichtung bekommen wir hier eure verpestete Luft ab. Nur Atomkraft ist ökologisch.
ZEIT: Ihnen sind doch aber günstige Strompreise wichtig, und Atomkraft ist inzwischen wesentlich teurer als erneuerbare Energien.
Le Pen: Entschuldigung, Frankreich hatte immer die niedrigsten Strompreise dank der Atomkraft.
ZEIT: Das war vor Jahrzehnten, inzwischen ist der Strompreis im europäischen Mittel und wird allen Prognosen nach extrem ansteigen, weil die alten Meiler für Milliarden Euro renoviert werden müssen.
Le Pen: Das stimmt nicht. Wir kaufen zu einem überteuerten Preis Windenergie ein, deswegen ist der Strompreis so hoch. Aus unserer Sicht ist Windenergie überhaupt nicht umweltfreundlich. Wir wissen bis heute nicht, wie wir die alten Windkraftanlagen entsorgen sollen.
ZEIT: Das größte Entsorgungsproblem hat die Atomenergie – weder Deutschland noch Frankreich haben ein Endlager für ihre radioaktiven Abfälle gefunden.
Le Pen: Ja, okay. Unser Ziel ist es, einen geschlossenen Kreislauf zu schaffen, und unsere Wissenschaftler forschen natürlich zu diesem Endlager.
ZEIT: Werden Sie den Pariser Klimavertrag von 2015 respektieren?
Le Pen: Ich bin nicht einverstanden damit, was in dem Vertrag steht, beispielsweise möchte ich keine Windenergie.
ZEIT: Der Vertrag schreibt keine Energieform vor, sondern lediglich das Ziel, die Erderwärmung deutlich unter zwei Grad zu halten.
Le Pen: Europa kann nicht einerseits die Klimaziele hochhalten und andererseits den Freihandel fördern. Der ist die Ursache dafür, dass gigantische Frachtschiffe um die Welt fahren und dabei wahnsinnige CO₂-Emissionen produzieren. Ich verlange mehr Kohärenz. Unser Wirtschaftsmodell ist in seinem Wesen unökologisch.
ZEIT: Sie wollen also aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen?
Le Pen: Ich will vor allem aus der Scheinheiligkeit aussteigen und warnen, dass wir mit dem Freihandel die Umwelt kaputt machen. Ich will nicht austreten, aber davor warnen, dass die schmutzigsten Länder der Erde den Vertrag nicht respektieren. China beispielsweise. Europa dagegen ist der Musterschüler der gesamten Welt.
ZEIT: Pro Kopf sind die europäischen Staaten für deutlich mehr Treibhausgase verantwortlich als asiatische oder afrikanische Länder.
Le Pen: Ich bin dagegen, dass wir den Europäern ständig ein schlechtes Gewissen machen, während viele Länder der Erde sich überhaupt nicht um das Klima bemühen.
ZEIT: Ein großer Teil von Frankreichs CO₂-Emissionen wird von der Landwirtschaft, insbesondere der Tierhaltung, verursacht. Haben Sie persönlich Ihren Fleischkonsum verringert?
Le Pen: Absolut nicht. Ich bin gegen diese bestrafende Ökologie.
ZEIT: Es könnte ja Ihre persönliche Entscheidung sein.
Le Pen: Nein, ich unterstütze die französischen Landwirte, die sehr gutes Fleisch produzieren. Und trotzdem sind wir so illoyal, dass wir sie der weltweiten Konkurrenz aussetzen. Das ist die Scheinheiligkeit der Europäischen Union: Sie macht strenge Regeln für unsere Bauern, aber erlaubt den billigen Import schlechter Produkte. Dafür schließt sie Freihandelsabkommen. Unter diesen Umständen müssen wir sagen: Wir importieren nur Produkte, die nach unseren hiesigen Standards produziert werden.
ZEIT: Warum haben Sie in Ihrer Zeit als EU-Abgeordnete gegen jedes Klimagesetz gestimmt – etwa gegen strengere CO₂-Grenzwerte für SUVs?
Le Pen: Dieses Gesetz war wie eine Guillotine für unsere Autohersteller. Wir können nicht von einem Tag auf den anderen sagen: Ihr dürft nicht mehr dieses oder jenes Auto produzieren. Die Industrie muss planen können. Das ging alles zu schnell, und ich will nicht, dass die Fabrikanten ihre Leute entlassen müssen und die Menschen verarmen. Dann haben wir niedrigere CO₂-Werte, aber die Leute sind arbeitslos, und ihre Kinder leiden. Ich schaue auf das Wohlergehen des Volkes.
ZEIT: Sie haben gesagt, dass Sie im Falle Ihres Wahlsieges ein Referendum zur Einwanderung abhalten werden. Eines Ihrer Themen ist die doppelte Staatsbürgerschaft …
Le Pen: Das wird nicht zu den Fragen gehören. Es wird andere Fragen geben. Zum Erwerb der französischen Staatsbürgerschaft. Zu Abschiebungen derer, die hier arbeitslos sind. Wenn die Leute hier keinen Job finden, müssen sie zurück in ihre Heimat.
ZEIT: Um bei der doppelten Staatsbürgerschaft zu bleiben: In Ihrem Wahlkampf 2017 sagten Sie, dass französische Juden ihre israelische Staatsbürgerschaft zurückgeben müssten beziehungsweise sich zwischen Frankreich und Israel entscheiden müssten.
Le Pen: Ich habe gesagt, dass es mir so scheint, als sei die doppelte Staatsbürgerschaft nur noch für Europäer aufrechtzuerhalten.
ZEIT: Unsere Frage ist, ob Sie daran festhalten, dass im Falle Ihres Wahlsieges französische Juden ihre israelische Staatsbürgerschaft aufgeben müssten.
Le Pen: Also, natürlich ist die Frage mit Israel heikel. Denn die Israelis sind extrem verbunden mit einem Land, das sie unter Tränen und Blut gewonnen haben. Das ist die Realität. Es könnte also alles erst mal nur eine Debatte sein. Ich bin da nicht stur. Ich bin mir bewusst, dass die Frage, ob die Leute ihre doppelte Staatsbürgerschaft aufgeben, zu ein paar Schwierigkeiten führen könnte. Da habe ich noch keine abschließende Entscheidung getroffen. Aber wissen Sie, wir haben nur mit bestimmten Leuten Probleme, die die doppelte Staatsbürgerschaft haben … Ich spreche nicht von den USA, von Russland, auch nicht von Israel, sondern dem Maghreb, woher viele Einwanderer kommen.
ZEIT: Sie wollen schon seit Ihrem ersten Wahlkampf 2012 das Tragen des Schleiers verbieten, als sichtbares Zeichen einer Religion. Deshalb haben Sie immer wieder gesagt, die französischen Juden müssten ebenfalls ein »kleines Opfer« bringen – ihnen würden Sie das Tragen der Kippa verbieten.
Le Pen: Ja, ich habe zu unseren jüdischen Mitbürgern gesagt, sie können die Kippa ja eh nicht mehr tragen, weil sie ständig angegriffen werden.
ZEIT: Verbieten ist noch mal etwas anderes.
Le Pen: Na ja, aber es geht nicht primär darum, die Kippa zu verbieten, sondern religiöse Symbole nicht auf der Straße zu tragen.
ZEIT: Gerade auf dem Weg hierher zur Nationalversammlung sind uns zwei Männer mit Kippa begegnet. Dieses Bild gäbe es nicht mehr unter Ihrer Präsidentschaft?
Le Pen: Ja, ich habe die Juden um dieses Opfer gebeten. Denn wir müssen gegen das Kopftuch etwas tun, es gibt davon inzwischen hier so viele. Und in Frankreich kann man keine Gesetze gegen eine bestimmte Religion erlassen. Ich weiß, dass das ein Opfer für manche Juden ist, kein kleines, ein großes Opfer, um das ich bitte.
ZEIT: Und wenn die Juden das Opfer nicht bringen wollen?
Le Pen: Wenn wir ein Gesetz verabschieden und die Leute Nein sagen, brechen sie das Gesetz, ganz einfach.
ZEIT: Es gibt eine Szene, die sich vor ungefähr eineinhalb Jahren abspielte: Eine Mutter begleitete die Grundschulklasse ihres Sohnes auf einem Ausflug in das Parlament der Region Bourgogne-Franche-Comté. Ein Politiker Ihrer Partei forderte vor den Augen der Schüler die Parlamentspräsidentin auf, die Mutter anzuweisen, ihren Schleier sofort abzulegen. Julien Odoul zeigte auf die junge Frau und behauptete fälschlicherweise, es sei gegen das Gesetz, das Parlamentsgebäude mit Kopftuch zu betreten. Er hörte minutenlang nicht auf, bis der Sohn der Mutter in Tränen ausbrach und sie ihn in den Arm nahm. Müssen die französischen Muslime sich auf diese Behandlung einstellen, wenn Sie Präsidentin sind?
Le Pen: Ich habe ihm gesagt, dass es falsch war, das so zu machen. Er hätte die Präsidentin bitten sollen, die Sitzung zu unterbrechen, um die Frau persönlich aufzufordern, den Schleier abzunehmen. Ich bin dafür, dass man die Regeln einhält, aber ich finde es nicht gut, einzelne Personen zu demütigen. Das würde ich selbst nie machen.
ZEIT: Aber es ist nicht verboten, im Parlamentsgebäude das Kopftuch zu tragen.
Le Pen: Doch. Sogar für Besucher.
ZEIT: Nein, im Regionalparlament ist es nicht verboten, und der Abgeordnete wurde von Ihnen anschließend zum Spitzenkandidaten bei den Regionalwahlen im Juni gemacht.
Le Pen: Was wollen Sie, soll ich ihn an den Galgen hängen? Sie reden die ganze Zeit nur über Anekdoten und irgendwelche polemischen Debatten, die es mal gab. Wenn Sie meine Partei darstellen wollen, als könnten wir nur Empörung hervorrufen, bitte schön. 85 Prozent der Franzosen teilen unsere Vorstellungen zum Thema Einwanderung. Und Sie finden irgendein kleines Element in unseren Vorschlägen, über das sich ein paar Leute aufregen. Das ist alles, was Sie tun, die ganze Zeit! Also, hätte Odoul es anders machen sollen? Ja. Sicher. Das habe ich ihm auch gesagt. Eine Mehrheit der Franzosen ist dagegen, dass der Schleier auf der Straße getragen wird. Wenn man den Franzosen zuhört, dann stellt man fest: Sie wollen keine Einwanderung. Das ist die Entscheidung des französischen Volkes.
ZEIT: Angenommen, die Mehrheit der Franzosen ist tatsächlich dafür, dass das Tragen des Kopftuchs und der Kippa verboten wird – es gäbe immer noch die Gerichte, die darauf achten, dass die französische Verfassung eingehalten wird. Und die Verfassung garantiert zur Not auch gegen den Willen der Mehrheit die Freiheit zur Ausübung der Religion. Wie wollen Sie das außer Kraft setzen?
Le Pen: Es gibt ja bei uns schon das Kopftuchverbot an Schulen, also kann das Gesetz auf den gesamten öffentlichen Raum ausgeweitet werden.
ZEIT: Mit welcher Begründung, die vor Gericht standhielte?
Le Pen: Das Kopftuch ist eine Störung der öffentlichen Ordnung. Es ist Ausdruck des Islamismus, den wir ausradieren müssen. So wie wir den Nationalsozialismus ausradiert haben, so wie wir den Rassismus ausradiert haben. Niemand hat das Recht, den Islamismus zu unterstützen, zu finanzieren, ihn zu relativieren.
ZEIT: Die Experten, die man dazu hört, sagen, es sei juristisch unmöglich, Kopftuch und Kippa zu verbieten.
Le Pen: Das sind dieselben Experten, die gesagt haben, es ist unmöglich, in Frankreich die Gurtpflicht im Auto einzuführen. Und Sie sehen: Jetzt legen wir den alle an.
ZEIT: Sie sagen, Einwanderung ist das größte Problem, das Frankreich hat. Wenn man sich einmal nüchtern die Zahlen ansieht, könnte man auch auf eine andere Idee kommen: Luftverschmutzung verursacht in Frankreich 50.000 Todesfälle im Jahr. Mehr als 100.000 Franzosen sind an Covid-19 gestorben. Seit 2017 hat der Terrorismus 25 Todesopfer gefordert. Jede einzelne Tat ist grausam, trotzdem kann man Sie fragen, ob Sie die falschen Prioritäten setzen.
Le Pen: Zunächst einmal, nicht alle Einwanderer sind Terroristen, da werden Sie mir zustimmen, nicht wahr? Aber der Großteil der Terroristen kommt aus dem Ausland. Die Einwanderung ist der Nährboden für Parallelgesellschaften, Parallelgesellschaften sind der Nährboden für den Islamismus, und der Islamismus ist der Nährboden für den Terror. Sie werden den Terror nicht besiegen, wenn Sie die Einwanderung nicht regeln. Wenn Sie nicht wissen, wer kommt, wo sie wohnen, was sie wollen, was sie denken.
ZEIT: Der Großteil der Einwanderer kommt durch den Familiennachzug nach Frankreich. Da wissen Sie genau, wer kommt, die Leute machen Gentests, erbringen Einkommens- und Sprachnachweise.
Le Pen: Das stimmt. Aber den Familiennachzug wollen wir stark eingrenzen, weil wir generell die Einwanderungszahlen drastisch absenken wollen. Wenn es uns in zehn Jahren besser geht, dann können auch mehr Einwanderer kommen. Ich bin da nicht ideologisch. Ich bin pragmatisch.
ZEIT: Sie sind die erfolgreichste Politikerin Frankreichs. Sehen Sie sich als Feministin?
Le Pen: Meine Partei ist nicht die Karikatur, die Sie immer zeichnen. Der Rassemblement National wurde in ein schlechtes Licht gerückt, es wurde gegen meine Partei polemisiert. Dabei sind wir eine Partei der Mitte. Und die Frauen spielen eine sehr wichtige Rolle. Ich glaube daran, dass Männer und Frauen komplementär sind. Ich bin eine Frau, ich bin aber kein Opfer. Frauen haben eine andere Art, die Dinge anzugehen, eine spezielle Sensibilität vielleicht. Aber eine Minderheit sind wir nicht.
ZEIT: Sehen Sie Ihren Vater noch häufig?
Le Pen: Er ist mein Vater. Trotz der Unterschiede, trotz der Konflikte, die wir manchmal öffentlich ausgetragen haben, er ist mein Vater. Er ist jetzt 93. Natürlich sehe ich ihn, so oft ich kann.
ZEIT: Sie haben bis 2015 in einer Villa in einem Pariser Vorort mit ihm zusammengelebt, wo Sie auch einen Teil Ihrer Kindheit und Jugend verbracht haben.
Le Pen: Ja. Seine Hunde, aus dem Tierheim hatte er die, haben eine meiner Katzen getötet. Eigentlich waren es liebe Hunde. Aber die Katze hat sich erschrocken und ist losgerannt. Da brach der Jagdtrieb durch, und sie sind hinterher. Ich bin dann ausgezogen. Mein Vater meinte, deshalb ziehst du aus, wegen einer Katze, komm schon. Aber ich habe gesagt, ich habe noch vier andere Katzen, auf die muss ich aufpassen.
ZEIT: Als Kind wurden Sie Zeugin eines Bombenattentats auf Ihren Vater, der die Zentrale seiner Partei, des Front National, gleich neben der Stadtwohnung Ihrer Familie eingerichtet hatte. Nehmen Sie es Ihrem Vater übel, dass er Sie so in die Politik hineingezogen hat? Sie selbst haben Ihre drei Kinder, die jetzt Anfang 20 sind, stets aus der Öffentlichkeit ferngehalten.
Le Pen: Ich habe meine Kinder beschützt, das ist meine rote Linie. Jean-Marie Le Pen hat sich anders entschieden, er hat uns öffentlich präsentiert, was natürlich Folgen für unseren Alltag, unser Leben hatte. Aber es war eine andere Zeit. Es war die Zeit von Ronald Reagan, die Zeit von Valéry Giscard d’Estaing, es gehörte dazu, seine Familie zu zeigen. Heute ist das anders. Ich beschütze das Privatleben meiner Kinder wie eine Wölfin, sie sollen frei von ihrer Familiengeschichte Entscheidungen treffen können. Ich bin extrem stolz darauf, dass ich sie beschützen konnte.
ZEIT: Denken Sie nicht manchmal: Ich lasse das Ganze hinter mir, ich mache etwas anderes?
Le Pen: Ich könnte tausend andere Dinge tun. Ich züchte Katzen. Acht Junge habe ich gerade. Aber Heinrich IV. hat gesagt: Die Liebe, die ich für Frankreich empfinde, lässt mir alles leicht erscheinen. Ja, warum opfert man seine Ruhe, seine Gelassenheit, seine Anonymität? Weil man das Land liebt.
ZEIT: Politik ist Gewalt, haben Sie mal gesagt.
Le Pen: Mein politisches Leben hat begonnen mit einer 20-Kilo-Bombe gleich neben meinem Bett. Also ja, Politik ist Gewalt.
Die Fragen stellten Annika Joeres und Elisabeth Raether
Foto: Marcel Mochet/AFP/Getty Images
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Die nächste Präsidentin?
Marine Le Pen gehört inzwischen zu den populärsten Politikerinnen Frankreichs. Nach aktuellen Umfragen liegt sie nur noch knapp hinter Emmanuel Macron. Der amtierende Präsident hat viele Anhänger verloren. Die über Jahrzehnte regierenden Sozialisten und Republikaner erreichen in den Umfragen jeweils nur um die zehn Prozent. Marine Le Pen, 52, ist studierte Juristin und arbeitete eine Zeit lang als Anwältin. Sie übernahm 2011 den Vorsitz des rechtsextremen Front National von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen und benannte die Partei vor vier Jahren in Rassemblement National um. Ihren Vater schloss sie 2015 aus der Partei aus, nachdem er in Interviews den Holocaust als »Detail der Geschichte« relativiert hatte.
Hannah Arendt bringt die Frage nach der Herkunft einer moralischen Entscheidung auf den Punkt:
1) Vor das Verbrechen gestellt zu sein und zu sagen, „Das kann ich nicht“ und nicht zu sagen, „Das darf ich nicht“
2) Zu Wissen, unsere Entscheidung über Recht und Unrecht hängt von der Wahl unserer Gesellschaft, von der Wahl derjenigen ab, mit denen wir unser Leben zu verbringen wünschen.

A. Diktatur
- Terror (Bürgerkrieg)
- Milliardärsherrschaft (Oligarchie)
- Kolonisierung – Fremdherrschaft (Hegemonie durch andere Empire: USA, Russland, Europa, China). Die Kolonisierung der DDR.: https://michaelbouteiller.de/wp-content/uploads/2021/07/R.Will_.-Kolonisierung.pdf
B. Das Verfassungsgericht ausschalten
- Szenario bei Verfassungsblog, Maximilian Steinbeis (https://verfassungsblog.de/ein-volkskanzler/#primary_menu_sandwich)
- Zur Beschreibung der augenblicklichen Lage des Bundesverfassungsgerichts dient das Urteil zum Klimaschutz. (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/03/rs20210324_1bvr265618.html)
- Das gilt auch für die Struktur der Besetzung (https://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Richter/Erster-Senat/erster-senat_node.html)
C. Die Hilfsmittel

Entscheidungsnetzwerke installieren und finanzieren
- Beeinflussung der Wahlen
- durch Stimmenkauf
- durch Wahlbeeinflussung
- durch gezielte Steuerung des Finanz- und Wirtschaftssystems
- Mediale Unterstützung
- Militär, Justiz, Polizei
- Verwaltung
- Erziehung zur Folgsamkeit (Gerald Hüther, https://youtu.be/LsEsK3xEEDk)
- Digitale Überwachung (Konsumverhalten, Sprechverhalten und Sorachsteuerung)

Vom Schaffen und Erschlagen von Monstern
Verfassungsblock vom 13.3.2021
Kartellrecht gehört nicht zu den Rechtsgebieten, die uns regelmäßig beschäftigen hier auf dem Verfassungsblog. Mergers and Acquisitions, Konzerne im Wettbewerb, Preisabsprachen und Marktmanipulation – das ist kaum noch öffentliches Recht, das ist Privatwirtschaft, davon verstehen wir weder viel noch interessieren wir uns dafür sehr.
Um so spannender finden wir aber, was gerade in den USA passiert. Dort stellt bekanntlich gerade Präsident Biden sein Regierungsteam zusammen, und zwei besonders einflussreiche Posten werden voraussichtlich an Kartellrechtsprofessor_innen gehen: Tim Wu und Lina Khan kommen beide von der Columbia-Universität, und beide sind berühmt für die Schärfe ihrer Kritik an Big Tech und am bisher etablierten Antitrust-Law-Paradigma. Jetzt werden sie die Chance bekommen, ihre wissenschaftlichen Theorien in die Regierungspraxis umzusetzen.
Lina Khan steht obendrein für einen Generationswechsel. In der Regierung des ältesten Präsidenten, der die USA regiert hat, soll die 32-Jährige offenbar, wenn sie im Senat bestätigt wird, in der Federal Trade Commission über den Wettbewerb in den USA wachen.
Welche Linie sie dabei wohl verfolgen wird, kann man einem Paper entnehmen, das sie noch als Studentin geschrieben und 2017 im Yale Law Journal veröffentlicht hat und zu einem der einflussreichsten wissenschaftlichen Artikel der Gegenwart geworden ist.
Der Generationswechsel steckt schon im Titel des Aufsatzes: ‚Amazon’s Antitrust Paradox‘, eine Anspielung auf das 40 Jahre zuvor erschienene Buch ‚The Antitrust Paradox: A Policy at War with Itself‘ von Robert Bork, das seinerseits im amerikanischen Wettbewerbsrecht damals keinen Stein auf dem anderen ließ.
In den Nachkriegsjahrzehnten hatten die Behörden und Gerichte streng darüber gewacht, dass sich keine Marktstrukturen entwickeln, die für den Wettbewerb schädlich sind. Kein Player sollte so groß werden, dass er seine Macht dazu nützen kann, Wettbewerber aus dem Markt zu kicken.
Das, so Bork und die Anhänger der Chicago School, sei aber ganz verkehrt: Anstatt Zusammenschlüsse und Unternehmenskäufe zu blockieren und so schwächere Wettbewerber vor der Konkurrenz der Großen abzuschirmen, sollte sich das Wettbewerbsrecht auf die Verbraucher_innen konzentrieren: Die sollen keine überteuerten Preise zahlen müssen. Alles andere ist aus dieser Sicht irrelevant
Drei Jahre nach Erscheinen des Buchs wurde Ronald Reagan Präsident. Schon zuvor hatte der Supreme Court sich Borks wettbewerbsrechtlicher Sichtweise angeschlossen.
Die Ära der Corporate Raiders und der M&A-Großkanzleien begann, riesige multinationale Konzerne entstanden, und tatsächlich: auf die Verbraucherpreise wirkte sich das offenbar nicht weiter schädlich aus.
Im Gegenteil. Diese Konzerne waren so effizient, dass sie ihre Waren und Leistungen immer billiger anbieten konnten. Die Marktmacht bestimmter Unternehmen wuchs ins Unermessliche, die Alarmanzeigen des Wettbewerbsrechts blieben doch stets im grünen Bereich.
Dass diese Riesen Verluste in Kauf nehmen könnten, nur um die Wettbewerber in den Ruin zu treiben – das, so dachten Bork und Kollegen, sei ohnehin nicht zu befürchten. Das sei ja irrational. Das mache doch keiner, und wenn doch, dann nicht für lange.
Dass die Riesen ihre Lieferanten zusammenkaufen, um ihre Wettbewerber von ihren Lieferketten abzuschneiden, sei gleichfalls völlig unproblematisch: Wenn sie dadurch effizienter werden und billiger anbieten, dann um so besser; wenn nicht, dann würden sie die Folgen ihres Fehlers von allein zu spüren bekommen.
Dann kam das Internet und die Digitalisierung. Dotcom-Startups und Tech-Innovatoren sammelten Milliardensummen an Kapital ein, und was sie ihren Investoren versprachen, waren nicht Gewinne. Sondern Wachstum. Solange dieses Versprechen gilt und geglaubt wird, ist es überhaupt nicht irrational, Verluste auch dauerhaft in Kauf zu nehmen, um den Wettbewerb aus dem Markt zu drängen.
Entlang der Lieferkette zu expandieren, ist nicht länger nur ein harmloses Mittel, die eigene Effizienz zu steigern, sondern der Weg, auf dem man vom Betreiber einer Marktbude zum Eigentümer des ganzen Marktplatzes wird, zum Betreiber der Plattform, auf der alle kaufen und verkaufen, aber nur einer von allen alles weiß.
Das ist längst die Welt in der wir leben vierzig Jahre nach Borks Buch – eine Welt, beherrscht von Unternehmen, die alle Chicago-Annahmen durchstreichen, die ihre Dominanz überhaupt erst möglich gemacht haben. Und kein Unternehmen verkörpert dies so sehr wie Amazon.
Im Licht von Lina Khans Artikel und der realen Existenz von Amazon et al. erscheint die Lehre der Chicago-Schule als müde und hohle Ideologie, die niemanden mehr zu überzeugen vermag, der nicht an ihrem Fortbestand ein handfestes materielles Interesse hat.
Meine Generation hat an diese Ideologie einmal geglaubt, so wie die Generation vor uns an den Kommunismus. Die Ideologie ist tot. Die Monster, die sie schuf, sind sehr lebendig. Möge es Lina Khan und ihren Mitstreiter_innen gelingen, sie zu (z)erschlagen.
Wolfgang Thierses vergeblicher Kampf gegen die Windmühlen
- taz, 20/21.4.2021, Der kurze Sommer des Postnationalen
- taz, 5.6.21, „Unterschiedliche Erfahrungshorizonte muss man aushalten“
von Edith Kresta, Identitätspolitik erobert den politischen und öffentlichen Raum. Sie wird kontrovers diskutiert. Der Soziologe Steffen Mau wirft im Gespräch einen differenzierten Blick auf die Debatte über Identitätspolitik und Cancel Culture - Steffen Vogel, Identitätspolitik als Kulturrevolution
- Zur Identitätskrise lesenswert der Artikel von Schwabe in Publik Forum 5/2021
Den Artikel Thierses im Langtext finden Sie hier
NYTimes 3.März 2021. von Nicholas Fandos.
https://www.nytimes.com/by/nicholas-fandos
Das Repräsentantenhaus verabschiedet eine wegweisende Wahlrechtsänderung, die auf staatliche Beschränkungen abzielt
Das Omnibus-Gesetz über Wahlrecht, Ethik und Wahlkampffinanzen würde die von republikanischen Bundesstaaten erlassenen Wahlrechtsbeschränkungen aufheben, doch im Senat steht ein harter Kampf bevor.

Die Demokraten im Repräsentantenhaus setzten am Mittwoch gegen den vereinten Widerstand der Republikaner eine weitreichende Erweiterung des Bundeswahlrechts durch und eröffneten damit eine neue Front in einer tobenden nationalen Debatte über Wahlen, die darauf abzielt, den Versuchen der G.O.P. entgegenzuwirken, den Zugang zu den Wahlurnen einzuschränken.
Der Gesetzesentwurf, der mit 220 zu 210 Stimmen, größtenteils entlang der Parteigrenzen, angenommen wurde, würde die bedeutendste Erweiterung des bundesstaatlichen Wahlrechtsschutzes seit den 1960er Jahren darstellen, wenn er Gesetz würde.
Es zielt darauf ab, neue nationale Anforderungen aufzuerlegen, die restriktive staatliche Wählerausweisgesetze abschwächen, eine automatische Wählerregistrierung vorzuschreiben, die Früh- und Briefwahl zu erweitern, es schwieriger zu machen, Wählerlisten zu bereinigen und das Wahlrecht für ehemalige Schwerverbrecher wiederherzustellen – Änderungen, die Studien zufolge die Wahlbeteiligung erhöhen würden, insbesondere bei rassischen Minderheiten.
Die Abstimmung war der jüngste Versuch der Demokraten, republikanische Bestrebungen in den Staatshäusern im ganzen Land zurückzuschlagen, neue Barrieren für die Stimmabgabe zu errichten, die die Macht der Republikanischen Partei inmitten falscher Behauptungen über grassierenden Wahlbetrug festigen würden, die vom ehemaligen Präsidenten Donald J. Trump und vielen seiner Verbündeten im Kongress verkündet wurden.
Aber die Maßnahme, die von Präsident Biden unterstützt wird, scheint für jetzt im Senat zum Scheitern verurteilt zu sein, wo die republikanische Opposition es fast unmöglich machen würde, die 60 Stimmen zu bekommen, die für eine Verabschiedung erforderlich sind.
Die Demokraten haben geschworen, das Gesetz trotzdem zur Abstimmung zu stellen, und die Progressiven haben bereits geplant, die republikanische Obstruktion des Gesetzes zu nutzen, um ihre Argumente für die Abschaffung des legislativen Filibusters in den kommenden Monaten aufzubauen.
„Alles steht auf dem Spiel. Wir müssen dieses Rennen gewinnen, diesen Kampf“, sagte Sprecherin Nancy Pelosi, Demokratin aus Kalifornien, als sich die Demokraten vor der Abstimmung auf den Stufen des Kapitols versammelten. „Zur gleichen Zeit, in der wir uns hier versammeln, um unsere Demokratie zu ehren, werden im ganzen Land über 200 Gesetzesentwürfe zusammengestellt und Bestimmungen vorgelegt, um die Wahl zu unterdrücken.“
Der 791-seitige Gesetzesentwurf, der von den Demokraten als H.R. 1 bezeichnet wurde, um seine Bedeutung für ihre Agenda widerzuspiegeln, würde auch parteiisches Gerrymandering beseitigen, neue Transparenz über dunkles Geld, das zur Finanzierung von Kampagnen verwendet wird, auferlegen, die Ethikstandards der Regierung verschärfen und eine öffentliche Finanzierungsoption für Kongresskampagnen schaffen.
Die Prominenz der Debatte zeigte, wie sehr der Kampf um die Wahlgesetze auf dem Spiel steht, sowohl für die Art und Weise, wie die Amerikaner ihr Wahlrecht ausüben, als auch für die Art und Weise, wie beide Parteien die politische Macht bündeln.
Während der Kongress jahrzehntelang daran gearbeitet hat, den Zugang zu den Wahlurnen zu erweitern, oft mit parteiübergreifender Unterstützung, ist das Thema in den letzten Jahren stark parteiisch geworden, da sich die Demografie und die politischen Koalitionen verschoben haben und die Republikaner zu dem Schluss gekommen sind, dass sie von einer geringeren Wahlbeteiligung profitieren, insbesondere in den Städten.
„Man kann auf der Basis seiner Ideen und der Programme, die man vorlegt, gewinnen, und das ist es, wofür wir uns entschieden haben“, sagte der Repräsentant John Sarbanes, Demokrat aus Maryland und einer der führenden Autoren des Gesetzes. „Oder Sie können versuchen, zu gewinnen, indem Sie die Wahl unterdrücken, unfaire Bezirke im ganzen Land ziehen und großes Geld einsetzen, um Desinformationen zu verbreiten.“
Die Republikaner brachten bemerkenswert ähnliche Argumente vor, versuchten aber, sie gegen die Demokraten zu wenden. Während sie nicht direkt dafür plädierten, die Wahl zu erschweren, sagten sie, dass die Staaten – nicht die Bundesregierung – am besten in der Lage seien, zu bestimmen, wie sie ihre Wahlen mit Integrität durchführen, und dass der Gesetzentwurf zu zügellosem Betrug führen würde, von dem liberale Kandidaten profitieren würden.
Im Moment scheinen die Republikaner die Oberhand zu haben. Staaten unter konservativer Kontrolle haben es in den letzten Jahren geschafft, neue Strengen einzuführen, die Studien zufolge schwarze Wähler und solche, die in städtischen Gebieten leben, unverhältnismäßig stark betreffen. Befürworter argumentieren, dass diese Schritte notwendig sind, um möglichen Wahlbetrug zu bekämpfen. Doch seit der Niederlage Trumps im November haben sich die Bemühungen mancherorts beschleunigt: Die Bundesstaaten versuchen, die Gesetze zur Wähleridentifikation zu verschärfen, die Briefwahl oder die vorzeitige Stimmabgabe zu erschweren und die Rolle, die externe Gruppen bei der Unterstützung der Wähler spielen können, zu begrenzen.
Und am Dienstag, der konservativ-dominierte Oberste Gerichtshof signalisierte, dass er wahrscheinlich zwei restriktive Arizona Wahlmaßnahmen aufrechterhalten und möglicherweise weiter an der Voting Rights Act von 1965 Chip festhält. Ein Urteil des Gerichts aus dem Jahr 2013 hatte wichtige Bestimmungen zur Durchsetzung des Gesetzes gekippt und damit den Weg für den Erfolg vieler republikanisch geführter Bundesstaaten bei der Einführung neuer Regeln geebnet.
Insgesamt haben Gesetzgeber in 43 Bundesstaaten mehr als 250 Gesetzesvorlagen eingebracht, die das Wahlrecht verschärfen würden, so das Brennan Center for Justice an der New York University. Das prominenteste Beispiel ist Georgia, wo die republikanische Führung nach dem unerwarteten Wahlsieg der Demokraten unverdrossen versucht, den Zugang zu den Wahllokalen einzuschränken, indem sie die Briefwahl und die vorzeitige Stimmabgabe an Sonntagen stark einschränkt, wenn viele schwarze Wähler nach dem Gottesdienst ihre Stimme abgeben.
„In der Schlange stehen, um zu wählen, ist keine Wählerunterdrückung“, sagte die Abgeordnete Marjorie Taylor Greene, eine Republikanerin aus dem Bundesstaat, am Mittwoch während der Debatte in Washington. „Es ist einfach ein Teil des Wahlprozesses. Genauso wie die Leute in der Schlange stehen, um Lebensmittel im Supermarkt zu kaufen.“
Die abschließende Prüfung des Wahlgesetzes fand statt, nachdem das Repräsentantenhaus eine andere führende liberale Priorität verabschiedet hatte, ein wichtiges Polizeigesetz zur Bekämpfung von Rassendiskriminierung und übermäßiger Gewaltanwendung bei der Strafverfolgung. Die Gesetzgeber verabschiedeten das Gesetz erstmals im letzten Sommer, um auf eine Welle von Forderungen nach Rassengerechtigkeit nach den Morden an schwarzen Amerikanern im ganzen Land zu reagieren, aber damals wie heute stieß es auf den Widerstand der Republikaner, die bescheidenere Änderungen vorschlugen. Die Abstimmung fiel mit 220 zu 212 Stimmen aus, weitgehend entlang der Parteigrenzen.
Es wird erwartet, dass die Demokraten im Repräsentantenhaus und die Republikaner im Senat mit ihren konkurrierenden Gesetzesentwürfen nächste Woche die Gespräche wieder aufnehmen werden, um die Meinungsverschiedenheiten über die von den Demokraten vorgeschlagenen Einschränkungen bei der Anwendung tödlicher Gewalt und über Änderungen, die die Verfolgung von Polizeibeamten bei Fehlverhalten erleichtern sollen, zu klären. Aber es gab wenig Optimismus für einen sofortigen Durchbruch.
Die Abstimmungsbestimmungen von HR 1 wurden ursprünglich von dem im letzten Jahr verstorbenen Abgeordneten John Lewis, einem Demokraten aus Georgia und Ikone der Bürgerrechte, entworfen.
Sollte der Gesetzentwurf Gesetz werden, müssten die Bundesstaaten automatisch die Wahlberechtigten registrieren, mindestens 15 aufeinanderfolgende Tage für die vorzeitige Stimmabgabe bei den Bundeswahlen vorsehen und Briefwahlstellen einrichten, wie sie Trump fälschlicherweise als Grund für Wahlbetrug nennt. Es würde es viel einfacher machen, per Post zu wählen und viel schwieriger, Wähler aus den Listen zu streichen.
Die Gesetzgebung zielt auch auf die parteiische Aufteilung der Sitze im Repräsentantenhaus ab und verlangt von den Bundesstaaten, dass sie unabhängige Kommissionen einsetzen, um Bezirke zu ziehen, die auf unpolitischen Maßstäben basieren und nicht auf solchen, die den Einfluss einer Partei gegenüber einer anderen maximieren. Beide Parteien betreiben Gerrymandering, aber die Praxis hat in den letzten zehn Jahren eher die Republikaner begünstigt. Mit den neuen Wahlbezirken, die in diesem Herbst gezogen werden sollen, werden die Republikaner voraussichtlich noch größere Gewinne erzielen.
Die Demokraten beabsichtigen, in den kommenden Monaten eine gesonderte Abstimmung über ein Gesetz abzuhalten, das die vom Obersten Gerichtshof gekippten Bestimmungen des Voting Rights Act wiederherstellt. Die Herausforderung für die Demokraten besteht darin, einen der Gesetzesentwürfe durch einen 50-50-Senat zu bringen, in dem 10 Republikaner mit Ja stimmen müssten. Unter Herrn Trumps Führung hat die Republikanische Partei eine zunehmend harte Taktik in Bezug auf das Wahlrecht und andere Initiativen zur Überholung der Regierung angenommen, wobei sie sich um seinen politischen Stil des „Winner-take-all“ und die unverhohlenen Lügen schart, auf denen er seinen Versuch gründete, seine Wahlniederlage umzukehren.
„Dieses Monster der demokratischen Regierung muss gestoppt werden,“ sagte Mr. Trump am vergangenen Wochenende auf der Conservative Political Action Conference. „It cannot be allowed to pass.“
Die Demokraten haben es bisher abgelehnt, die Regeln des Senats zu ändern, damit sie Gesetze mit 51 statt 60 Stimmen durchbringen können. Aber die Befürworter der Abschaffung des Filibusters glauben, dass die festgefahrenen Wahlrechtsgesetze sich letztendlich als die überzeugendsten erweisen könnten, um moderate Senatoren zu gewinnen, die zögern, den Schritt zu unterstützen.
„Das Wahlrecht ist die Voraussetzung für alle anderen Rechte, und wir müssen alles tun, um die Stimmen des Volkes in unserer Demokratie zu bewahren“, sagte Senator Raphael Warnock, einer der Demokraten aus Georgia, dessen Sieg die neuen Wahlgesetze des Staates ausgelöst hat. „Ich denke, die Probleme sind dringend genug, um alle Optionen auf den Tisch zu legen.“
Catie Edmondson trug zur Berichterstattung bei.Nicholas Fandos ist Kongresskorrespondent mit Sitz in Washington. Er berichtet seit 2017 über den Capitol Hill und hat dabei zwei Bestätigungsverfahren des Obersten Gerichtshofs, zwei historische Amtsenthebungsverfahren gegen Donald J. Trump und unzählige Gesetzesentwürfe dazwischen begleitet.
Gegenwartsbefreiung – ein zweifelhafter Beitrag zur Kulturentwicklung
In breit angelegten und gut lesbaren Artikelreihen in der Zeitschrift „Kunstforum International“ setzt sich der Leiter der Lübecker Overbeck-Gesellschaft (seit 2015), Dr. Oliver Zybok, einer Tochtergesellschaft der „Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeiten“ (Gemeinnützige), mit dem Zustand der Theorie und Praxis von Gegenwartskunst, Politik, Moral und Demokratie auseinander.
Er hat in der Zeitschrift Kunstforum International mehr als 70 Artikel über Kunst und Künstler:innen von nationaler und internationaler Geltung verfasst (https://www.kunstforum.de/person/zybok-oliver/). Der richtige Mann am richtigen Platz, denn es geht in Lübeck um die Arbeit an einem Kulturentwicklungskonzept. In Band 205 von Kunstforum International betitelt „Vom Ende der Demokratie“, beschreiben Raimer Stange und Oliver Zybok (https://www.kunstforum.de/band/2010-205-vom-ende-der-demokratie-manifesta-8/) etwa den Zustand der modernen Malerei angesichts des aus ihrer Sicht 2010 eingetretenen Endzustandes der Demokratie.
2020 reflektiert die Herausgeberin der Zeitschrift in Band 268 unter dem Titel “Gegenwartsbefreiung Malerei„, (https://www.kunstforum.de/artikel/zwischen-moral-und-ideologie/) klipp und klar, was die Leser:in in dem aktuellen Themenband dieser Zeitschrift 10 Jahre nach dem Ende der Demokratie in der modernen Malerei und Kunst zu erwarten hat:
…“Dieser Themenband blickt auf aktuelle Positionen und Diskussionen, greift sie auf und trägt sie weiter: in umfassenden Bildschauen und Essays, sowie Gesprächen mit z.B. Hans Ulrich Obrist und Katharina Grosse diskutieren die Herausgeberin und weitere Autor*innen neue Tendenzen der Malerei im 21. Jahrhundert. Es wird deutlich: Die gegenwartsbefreite Malerei löst sich von konzeptuellen Absicherungen, Materialdiskursen und distanzierenden Reduktionen. Sie muss keine ästhetisch-philosophische Zwiesprache im akademischen Beichtstuhl mehr halten, wie so oft in der Vergangenheit. Politisch, abstrakt, figurativ oder surreal – Heute wird gemalt, was gemalt werden soll.“.
Da kann man der Autorin zunächst nur zustimmen und freut sich auf ein neues, vielleicht epochales Kapitel der Kunst der Zukunft – ohne akademischen Beichtstuhl. Was soll man sich aber darunter vorstellen, eine Malerei „ohne akademischen Beichtstuhl“?
Wie bereits in dem von Oliver Zybok und Raimar Stange 2010 herausgegebenen Band Vom Ende der Demokratie werden im Band Gegenwartsbefreiung Kunst und Künstler vorgestellt, die – aus der Sicht der Herausgeber – zu diesem Thema passen, also offenbar gegenwartsbefreit sind. Die vorgestellten Werke werden zeitlich, stilistisch oder nach Kriterien eingeordnet, die von einem bunten Strauß sozialpsychologischer, soziologischer, politologischer und philosophischer Theorien und anerkannten Persönlichkeiten angeboten werden, deren Namen und Urteil unter Kenner:innen für Aufmerksamkeit sorgt.
Eine Auseinandersetzung mit den Kriterien dieser Einordnung, mit den Maßstäben der Beurteilung und ihrem Vorverständnis erfolgt indes nicht: „Heute wird gemalt, was gemalt werden soll“. Dieses Diktum genügt zur Begründung, wie es im zitierten Eingangsstatement steht. Und man könnte ironisch hinzufügen, da das Ende der Demokratie, und damit der Jüngste Tag in der Geschichte unserer Verfassung (Demokratie) eingeläutet ist, ist es wohl auch überflüssig, sich mit ästhetisch-philosophisch begründeter Kritik zu befassen. Lasst diese Kritik dort, wo sie hingehört, im Beichtstuhl!
Wo stehen sie denn in Lübeck, solche Beichtstühle? In Lübeck stehen solche Beichtstühle vielleicht irgendwo in der Universität, in der Musikhochschule bei Rico Gubler, bei Wolfgang Sandberger in der Eschenburg-Villa auf dem Jerusalemsberg (wie passend !), bei Cornelius Borck in der Königstraße oder hat Hans Wißkirchen gerade Beichtdienst in der Schildstraße? Der Stuhl des SH Festivals ist mit Christian Kuhnt bereits weitergezogen in die Kreativwirtschaft der Golan-Kulturwerft.
Wie dem auch sei, man tut jedenfalls gut daran, sich als Betrachter:in von Kunst von derartigem akademischem Firlefanz nicht ablenken zu lassen. Beim Genuss der von Zybok und Stange – aus kundiger Sicht – ausgewählten Meisterwerke und Projekte der Moderne sind sie störend. Die neue Botschaft heißt nämlich: “Gegenwartsbefreiung“. Und die dazu angesagte Wahrnehmungsvariante ist wohl: „Werft den Ballast ästhetisch-philosophischer Nachdenklichkeit ab. Lasst das akademische Abrakadabra. Haltet euch bereit für den Abflug in‘s Himmlische Jerusalem.“ Denn an das Himmlische Jerusalem denken alle, wenn es um Heilsversprechen geht.
Derartige Heilsversprechen sind von Alters her Ausdruck für den Traum der Träume. Das zukünftige Leben auf Erden im Einklang mit Gott. Von Lübecks Zukunft ist hier offensichtlich auch die Rede ( https://michaelbouteiller.de/wp-content/uploads/2021/03/Himmlisches-Jerusalem-.pdf
Jedenfalls nimmt das Gedicht „Die Silhouette von Lübeck“ von Reiner Kunze auf unser himmlisches Stadtbild Bezug:
„damit die erde hafte am himmel,
schlugen die menschen
kirchtürme in ihn
sieben kupferne nägel,
nicht aufzuwiegen
mit gold“ .
Ein derartiges Zukunftsversprechen fasziniert. Es entwickelt große motivierende Kraft. Es ist das verführerische Bild einer von den Lasten der Vergangenheit befreiten Zukunft, das uns in den Bann zieht. Religionsgründer benutzen es, aber auch Rattenfänger.
Der Lübecker Jonas Geist (1936-2009) hat dieses Bild vom Himmlischen Jerusalem schon 1976 umfassend kritisiert (Versuch, das Holstentor zu Lübeck im Geiste etwas anzuheben. Wagenbach, Berlin 1976). Und wir täten in seinem Sinne gut daran, mit ihm zu hinterfragen, was solche Überlegungen mit den Interessen und Bedürfnissen derjenigen zu tun haben, die uns in der Stadt versprechen, das Holstentor erneut im Geiste anzuheben. Vielleicht nicht bis ganz in den Himmel, aber doch bis hin zur ersehnten internationalen Geltung der Stadtkultur, hin zur „organischen Kulturstadt“, wie das die Vorlage „Kulturentwicklungsleitlinien der HL vom 8.10.2020 vorschlägt.
Oliver Zybok jedenfalls hat die in der Zeitschrift Kunstforum International genannten Zeichen der Zeit erkannt. Zusammen mit der Muttergesellschaft der Overbeck-Gesellschaft, der Gemeinnützigen, mit der Possehl-Stiftung und vielen anderen Spender:innen, mit St.Petri, den Lübecker Nachrichten als Medienpartner und der Hansestadt Lübeck hat er 2020 als Initiator und Kurator Jonathan Meese zu einem großen Stadtprojekt nach Lübeck geholt.
Meese ist ein Musterbeispiel für die Art von Künstler der Gegenwartsbefreiung, die Oliver Zybok in seinen Artikeln im Kunstform International beschreibt. Jonathan Meese als der Propagandist und Diktator der Kunst erfüllt alle Voraussetzungen der Gegenwartsbefreiung der Kunst. Mit seiner Botschaft von der Diktatur der Kunst ist er genau der richtige Verkünder am richtigen Ort: im Himmlischen Jerusalem Lübeck (vgl.dazu https://michaelbouteiller.de/?page_id=1575).
Hier findet er die ideale Kulisse für seinen Auftritt. 31.000 Besucher:innen an den Kultstätten der Gegenwartsbefreiung (LN vom 7.8.2019 https://www.ln-online.de/Nachrichten/Kultur/Kultur-im-Norden/Jonathan-Meeses-Abschiedsgeschenk-an-Luebeck-Kuenstler-schenkt-Kunsthalle-St.-Annen-zwei-Werke ) sind ein vielversprechender Anfang.
Der erste Schritt auf der Leiter ins Himmlische Lübeck ist also getan. Wir sind gespannt auf den zweiten Schritt: Das Lübecker Konzept einer Kulturentwicklung (KET)? Ein Beschluss in der Bürgerschaft steht in der nächsten Zeit an.