Mignon 1925
von Erich Mühsam
Kennst du das Land, wo die Faschisten blühn,
im dunklen Laub die Diebslaternen glühn,
ein Moderduft von hundert Leichen weht,
die Freiheit still und hoch der Duce steht?
Kennst Du es wohl?
Dahin! Dahin
möcht ich mir Dir, mein Adolf Hitler, ziehn!
Kennst Du das Haus? Auf Wahlen ruht sein Dach.
Die röm’sche Kammer ist’s und drinnen Krach.
Drei Kommunisten sehn mich blutend an:
Was hat man uns, du armes Kind getan?
Kennst du es wohl?
Dahin! Dahin
möchte ich mit dir, o Krüppel-Kunze, ziehn!
Kennst Du des Mussolini Wolkensteg?
Der Maulheld sucht mit Knebeln seinen Weg;
er würgt die Presse, plagt das Volk aufs Blut
und bebt, daß keiner ihm ein Leides tut.
Kennst Du ihn wohl?
Dahin! Dahin
geht Deutschlands Weg! O Feme, laß uns ziehn!
(1925)
Die Seele des Kindes
[182] Die Seele des Kindes ist das Allerheiligste im Tempel der Menschheit. In ihr lagert das Glück und die Freiheit der Welt.
In der Seele des Kindes vereint sich das tiefste Wissen um die Schönheit und Güte der Welt mit dem stärksten Mut zum Bekennen der Wahrheit.
Die Seele des Kindes ist der Spiegel unserer Tugenden und die Geißel unserer Fehler.
Wer gegen die Seele des Kindes sündigt, der ist ein Verbrecher an allem Wahren, Guten und Reinen. Seine Sünde wird nie vergeben. Denn sie ist Frevel am Heiligen Geist.
Ein Kind, das an Leib oder Seele darbt, ist größerer Vorwurf gegen die Menschheit als alle Feindschaft und alle Niedertracht der Welt.
Das Kind sei dem Erwachsenen Lehrer und Erzieher. Die Seele des Kindes laßt uns befragen, wenn wir der Zukunft und dem Heil der Menschen dienen wollen. Denn in der Seele des Kindes ist die Vernunft der Wahrheit und das unschuldige Wissen von Gut und Böse.
Was wir dem Kinde zuliebe tun, das laßt uns mit der Seele des Kindes tun. Das heißt: ohne Eigennutz und Falsch, den Blick und die Sehnsucht aber auf Frieden und Zukunft gerichtet.
Berlin 1928