Die jüngste Anschlagserie in Lübeck hat die Stadt in ein „rechtes“ Licht gerückt. Immer wieder be-tonen Bürgermeister Michael Bouteiller und Vertreter der Landesregierung in Kiel, daß es in der Hansestadt keine überproportionalen rechtsextremistischen Aktivitäten gäbe. Ein Blick in das Archiv und Fälle der Gegenwart lassen an dieser Aussage Zweifel aufkommen.
Mittwoch, 06. August 1997
Horst Freires
Lübeck und die Neonazis – zum ersten Mal kam die Marzipanstadt Anfang der 80er Jahre in die Schlagzeilen, als sich im Stadtteil Moisling eine Neonazi-Clique „SA-Sturm Moisling“ nannte. Spätestens seit 1983 existierte in Lübeck auch eine ANS/NA-Kameradschaft (dabei u. a. Michael Jordt). Paraellel dazu entwickelte sich in der Stadt des Holstentors eine starke Skinhead-Subkultur, über die die Polizei schon damals urteilte: „Die Gruppe vertritt eindeutig rechtsgerichtete Ziele und macht diese Einstellung durch ihr äußeres Erscheinungbild sichtbar“. Immer wieder gab es Auseinandersetzungen mit Punks, Ausländern und politischen Gegnern. Die Polizei bildete daraufhin ei-ne Sonderkommission, die sich fortan nicht über Mangel an Arbeit beklagen sollte. Schon 1984 verfolgte die SOKO 771 tatverdächtige Skins, wobei die meisten Beschuldigten Vielfachtäter waren. Hauptdelikt war stets Körperverletzung. Im Spät-sommer 1983 kam es in Lübeck zu einem überregionalen Skintreffen mit rund 700 Teilnehmern aus dem gesamten Bundesgebiet. Auch die FAP als Nachfolgeorganisation der im Dezember 1983 verbotenen ANS/NA faßte in Lübeck schnell Fuß, sie verfügte sogar über ein Parteibüro in der Innenstadt. 1983 und 1987 wurde der jüdische Friedhof im Stadtteil Moisling geschändet – im zweiten Fall gab es dazu Farbschmierereien mit dem Schriftzug der FAP. 1988 wuchs die Zahl der Skins in der Ostseestadt noch einmal – die der Gewalttaten eben-falls. 100 zum Teil bewaffnete Skinheads zogen beispielsweise gegen eine Juso-Veranstaltung im April auf. Ein Eskalieren der Gewaltspirale zeigte sich auch darin, daß Polizeibeamte jetzt ebenfalls Oper brutaler Skinattacken wurden.
Anfang der 90er Jahre bilanzierte das Innenministerium in Kiel: Lübeck sei Hochburg der Skinheads im Lande mit rund 190 Anhängern. Durch Verbrüderungen mit Skins anderer Orte wachse ihre Zahl noch an.
Ein brennendes Fanal
Dann der 25. März 1994: Zum ersten Mal nach der Nazizeit brennt in Deutschland wieder eine Synagoge – in Lübeck waren Brandstifter am Werk. Die vier Täter wurden gefaßt: Stephan Marcus Westphal, Nico Trapiel, Dirk Brusberg und Boris Sven Holland-Moritz. Westphal orderte massenweise DVU-Material und verteilte es, wie er vor dem Oberlandesgericht Schleswig beim Prozeß 1995 zugab, im Bekanntenkreis. Das Quartett wurde zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.
Am 7. Mai 1995 brennt die Synagoge erneut – ein Arbeitsloser wird als Beschuldigter ermittelt, dann aber wieder auf freien Fuß gesetzt. Am 13. Juni des Jahres geschieht dann Unfaßbares im Rathaus: Eine Briefbombe, gerichtet an den stellvertretenden Bürgermeister Dietrich Szameit (SPD) explodiert und verletzt den SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Rother schwer. Szameit htte das Urteil im Synagogenprozeß als noch zu milde kritisiert. Am 18. Januar 1996 brennt die Asylbewerberunterkunft in der Lübecker Hafenstraße. Der Fall ist bis heute ungeklärt. Seitdem ist die Stadt nicht mehr zur Ruhe gekommen.
Das Jahr 1997: Am 16. Januar finden sich Hakenkreuzschmie-rereien an der St.-Jürgen-Kapelle; ebenfalls am 16. Januar werden Hakenkreuze am Haus des nordelbischen Bischofs Karl-Ludwig Kohlwage geschmiert. Zudem erhält seine Frau einen Drohanruf: Wer für Schwarze einstehe, dem stecke man das Haus über dem Kopf an, sagte eine Stimme. Kohlwage hatte sich für ein Bleiberecht der Asylbewerber aus der Hafenstraße ausgesprochen.
Am 26. Februar wird auf dem Grundstück des Bischofs eine Gartenlaube angezündet. Die Täter hinterlassen abermals Hakenkreuze. Das Fanal gegen Gotteshäuser ging weiter: Am 25. Mai wurde die katholische Vicelin-Kirche im Stadtteil St. Jürgen durch Feuer zerstört. Ein 19jähriger gesteht die Tat. An die Kirchenfassade wurde von Mittätern der Name des Lübecker Pastors Günter Harig gesprüht. Dieser gewährte einer algerischen Familie Kirchenasyl.
Am 25. Juni werden die St. Jakobi-Kirche und das 300 Meter entfernt gelegene Büro des Schriftstellers Günter Grass mit Hakenkreuzen be-malt. Wieder taucht der Name „Harig“ auf. Nur vier Tage später richtet ein Brananschlag auf dem Kirchenbüro der St. Augustinus-Gemeinde nur geringen Sachschaden an. Dazu prangert die Parole „Harig, wir kriegen dich“ an der Fassade. Hakenkreuze fehlen auch diesmal nicht. Am 12. Juli wurde das vorerst letzte Feuer gezündet, das in diesen Zusamenhang gehört. Ein Holzschuppen der Luthergemeinde Moisling, in der gerade eine Ausstellung über vier von den Nazis ermordete Geist-liche spielte, ging in Flammen auf.
Der Gauleiter der„Wiking-Jugend“
Der „Bodensatz“ für solche Täter ist in Lübeck vorhanden. Dies zeigt auch ein Blick auf die Wahlergebnisse 1992 und 1994. Bei den Landtagswahlen ’92 erreichte die DVU aus dem Stand in den vier Lübecker Wahlkreisen zwischen 8,1 und 9,8 Prozent. Zwei Jahre später bei den Kommunalwahlen lagen die „Republikaner“ in Lübeck bei 4,1 Prozent – landesweit das beste Resultat. 1996 holte die DVU in Lübeck wieder 6,3 Prozent bei den Landtagswahlen – in „Problemstadtteilen“ sogar mehr – der Wiedereinzug in das Kieler Parlament scheiterte allerdings an den landesweiten 4,3 Prozent.
Die Ziehväter bei den Lübecker „Republikanern“ waren die teilweise noch heute aktiven Heinz Bittiehn, Horst Porath und Thomas Schröder. Beruflich rekrutierte sich die REP-Anhänger-schaft auch auffallend stark aus Bundesgrenzschutz- und Polizeikräften. Nach seinem „Gastspiel“ bei den REP lenkte der 41jährige Schröder den „Arbeitskreis für deutsche Politik“ – ein Sammelbecken und Diskussionsforum für Rechtsextremisten unterschiedlicher Herkunft. Seit zweieinhalb Jahren ist der ehemalige BGS-Ausbilder vom Dienst „beurlaubt“. Noch immer läuft ein Disziplinarverfahren gegen ihn. Die Bezüge hat man ihm nach Angaben des Bonner Innenministeriums jedenfalls nicht gestrichen bzw. reduziert.
Die NPD-Köpfe der Stadt waren Reinhard Dutschke (JN) und bis zum heutigen Tag Ulrich Schwetasch. Er wechselte inzwischen das Lager: Über die DVU, DLVH landete er jetzt beim „Bündnis rechts für Lübeck“. Für diese Organisation meldete er jedenfalls am 31. Mai 1997 eine Demonstration in der Marzipanstadt unter dem Motto „Kirchenasyl – Wider Gesetz und Recht!“ an, die verboten wurde. Zeitgleich meldete für die NPD Jürgen Gerg ei-ne Kundgebung an unter der Parole „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche“. Auch diese Veranstaltung wurde untersagt. Zuletzt tauchen Gerg und Schwetasch übrigens als „Saalschützer“ am 21. Juni bei einer „Republikaner“-Veranstaltung mit Dr. Richard Eckert (Ex-MdL REP Baden-Württemberg) im Stadtteil Moisling auf.
Direkt nach dem Anschlag auf die Vicelin-Kirche meldete sich auch der bekannte Neonazi Thomas Wulff aus Hamburg mit einem Flugblatt des „Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Norddeutschland“ zu Wort. Er greift in seinem Pamphlet Harig und Bürgermeister Bouteiller an und endet in der Forderung „Schluß mit der Kriminalisierung der Nationalen Opposition“. Das Flugzeug wurde gezielt rund um die St. Vicelin-Kirche verteilt!
BGS-Ausbilder „beurlaubt“
Und auch das ist/war Lübeck: 1985 wird man das erste Mal auf Reinhard Leichert, Beamter im „Amt für Denkmalpflege“, aufmerksam. In seinem damaligen Heimatort Bönebüttel-Husberg (Kreis Plön) war er Organisator einer Sonnenwendfeier am 21. Juni. Dabei redete er sich später heraus, es sei nicht, wie berichtet, ein Treffen der „Wiking-Jugend“ gewesen, sondern vom „Bund Heimattreuer Jugend“ – diese Organisation war damals allerdings ebenso verfassungsfeindlich. Im November 1994 rückt Leichert dann wieder ins Rampenlicht: Die „Wiking-Jugend“ wird bundesweit verboten und er wird von den Innenbehörden als „Gauleiter Nord-mark“ tituliert. Bei einer Hausdurchsuchung auf seinem Anwesen in Großsteinrade bei Lübeck wer-den die Staatsschützer auch fündig. Auf dem Grundstück war ein Bundeswehr-Kübelwagen geparkt sowie Leicherts Kfz mit DVU-Aufkleber. Zudem zu sehen: Ein großer Findling (Stein) mit Odalsrune und der verbotenen Wolfsangel. Knapp drei Jahre sind inzwischen vergangen, dienstrechtliche Konsequenzen hat Leichert bislang nicht zu spüren bekommen.
Überhaupt die Stadtverwaltung: Im Februar 1992 tauchte in Nordrhein-Westfalen ein rechtsextremes Blatt mit dem Titel „Neues Deutschlandlied“ auf. Auf den Kopien des Hetzpapierswar der Audruck „Hansestadt Lübeck, Amt 50“ zu erkennen. Nachforschungen dazu liefen bisher ins Leere. Das „Lübecker Bündnis gegen Rassismus“ enttarnte jetzt Dieter Kern von der NPD als Umweltschutztechniker im Amt der Hansestadt. Kern war im März 1996 aufgefallen, als er einen Propagandastand der DLVH mitbetreute. Er räumte ein, beim Aufmarsch des „Freiheitlichen Volks Blocks“ am 24. Mai 1997 in Bad Segeberg dabei gewesen zu sein, berichtet das schleswig-holsteinische Publikation „Enough is enough“.