Ohne dass Senat und Bürgerschaft zuhause in Lübeck etwas Näheres von den Berliner Aktivitäten ihres Mitgliedes mitbekommen hatten, war es dem Regierenden Bürgermeister Lübecks, Dr.Johann Neumann, gelungen, in der Reichshauptstadt eine entscheidende Position auch im Medienimperium seines alldeutschen Verbandsgefährten Hugenberg einzunehmen, den Vorsitz im Verwaltungsrat des Scherl-Verlages.
Der Scherl-Verlag war das Herzstück des von Alfred Hugenberg aufgebauten Medien- und Zeitungsimperiums. Der Verwaltungsausschuss entspricht dabei dem Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft. Der Scherl-Verlag also, die Spinne im medialen reichsweiten Netzwerk des Propagandisten eines völkischen Nationalstaates (Stern, 26.11.2003, Hugenberg, Hitlers „Steigbügelhalter“, https://www.stern.de/politik/geschichte/alfred-hugenberg-hitlers–steigbuegelhalter–3342658.html, Hugenberg), wurde vom Lübecker Bürgermeister gesteuert.
Hugenberg war nicht nur neben Emil Possehl und dem Kolonialpolitiker Peters, auch „Hänge-Peters“ genannt, der Mitgründer und Organisator des Alldeutschen Verbands. Er hatte noch während seiner Zeit als Vorsitzender im Direktorium der Friedrich Krupp AG (1908-1918) ab 1912 nach und nach den seinerzeit größten Medienkonzern Deutschlands aufgebaut und steuerte ihn im Sinne der Zielsetzungen der Alldeutschen konsequent in den Nationalsozialismus (vgl. auch Alfred Hugenberg,/ https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Hugenberg, abgefragt 16.10.2019).
Das dargestellte Organisationsschema veranschaulicht die Reichweite der propagandistischen medialen Durchdringungsbreite und -tiefe der Hugenbergschen Firmen. Hervorzuheben ist dabei das mit der Allgemeinen Anzeigen GmbH, später Aktiengesellschaft (ALA), angestrebte Anzeigenmonopol auf dem deutschen Medienmarkt. Darüber steuerte Hugenberg auch Lokalblätter, die nicht in seinem Besitz waren. In Lübeck war das die Ala-Anzeigen-Aktiengesellschaft Zweigniederlassung Lübeck.
Der Lübecker Bürgermeister war als Verwaltungsratsvorsitzender des Scherl-Verlages kein unabhängiger Entscheider. Im Konzerngefüge spielte er vielmehr die Rolle des abhängigen treuhänderischen Auftragnehmers von Hugenberg. Gleichwohl konnte er mit seiner, auch ideologischen, Steuerungsfunktion über den Scherl-Verlag und damit auch der Stärkung seiner Einflussnahme im hugenbergschen Medienkonzern seine Lübecker Position ausbauen. Der Lübecker Generalanzeiger war über die ALA (Lübecker Volksbote, 25.3.1933: ALA Zweigniederlassung in Lübeck) in den Händen Hugenberg – Neumanns. Das hat Julius Leber richtig erkannt, wenn er im Lübecker Volksboten 1926 schrieb:
„… Und doch war e r (Hugenberg, MB) der eigentliche unsichtbare Herrscher dieser Stadt, die er selbst vielleicht nie gesehen. Den S t a a t hatte er in der Hand durch sein Oberhaupt, die Presse durch die größte Inseratenplantage. Sein Wille war maßgebend, beschränkt nur durch den leidenschaftlichen Widerstand der darob täglich beschimpften und begeisterten S o z i a l d e m o k r a t i e (Sperrungen im Original, MB).“( Lübecker Volksbote, 8.6.1926).
Leber beschreibt folgerichtig die tatsächlichen damaligen Verhältnisse im Freistaat. Er bestätigt auch den tiefen Hass der Elite des Bürgertums, die innerhalb und über das völkische Netzwerk des AV immer wieder versuchte, die Macht für die konservative Revolution in den Ländern und im Reich an sich zu reißen. Dies geschah heimlich und in den seit Ende des 19. Jahrhunderts dafür geschaffenen Netzwerken des AV. Die Akteure traten selten nach außen offen auf.