Jonathan Meese-Frankenstein in Lübeck – ein Rückblick auf die Kultur Lübecks vor der Pandemie
Die Meese-Ausstellung in Lübeck liegt nun über ein Jahr zurück (Februar-August 2019). Folgt man den AusstellungsmacherInnen war dieses Projekt ein außergewöhnliches national und international beachtetes Event (30.000 BesucherInnen?). Was bleibt inhaltlich nach?
Man sucht vergebens ein inhaltliches Résumé. Eine Einordnung. Da ist nichts. Nur Pastor Dr. Schwarze (St.Petri) fühlte sich offenbar, vielleicht durch die Kritik an St.Petri als Mitveranstalter, aufgefordert, sich zu rechtfertigen (Lübeckische Blätter 2019,8, S.130f.). Immerhin. Man hätte erwarten dürfen, dass wenigstens der spitze Bunker-Turm auf dem Gollan-Gelände im Gedenken an Meeses Besuch auf der Kulturwerft für alle Zeiten blau angestrichen werden würde. Als Meese-Mumin-Gedächtnisstätte gewissermaßen. Schade.
Wie schreibt Dr. Antje-Britt Mählmann, die Leiterin der Kunsthalle, am 15.Juni 2019 auf facebook doch richtig:
Es fällt auf, dass keine der fünf Lübecker Institutionen (Kunsthalle, St.Petri, Grass-Haus, Gollan-Kulturwerft, Overbeck-Gesellschaft), die an dem Großprojekt beteiligt waren, sich veranlasst sah, die Öffentlichkeit vor, während der Ausstellung oder vielleicht im Nachgang mit einer, oder besser noch mit mehreren – etwa vom Kulturdezernat organisierten – Diskussionsveranstaltungen einzubinden. Da helfen dann auch keine begleitenden Führungen durch die Ausstellungen. Denn sie ersetzen keinen öffentlichen Diskurs.
Bei einem derart kontroversen, öffentlich geförderten Kunstprojekt hätte es nicht nur nahegelegen, der Öffentlichkeit intensiv eine Plattform zu bieten. Angesichts dieser in der Geschichte der Stadt nie dagewesenen und wohl auch einmaligen gesamtstädtischen „Propagandaaktion“ für einen einzigen Künstler wäre aufklärende Einbindung sogar unerlässlich gewesen. Sie hätte der Sache „Stadt-Kultur“ gut getan.
Aber nichts. Nada. Stattdessen: Lübecks gesammeltes Schweigen und Bühne frei für die Kunstfigur Jonathan Frankenstein, den Demokratie-Verächter und das Propagandawerk seiner staatlichen Diktatur des Sachzwanges. Erinnert sei aus diesem Anlass und für zukünftige spektakuläre Bildungs-Ereignisse an die dreifache Verpflichtung staatlicher und kommunaler Bildungseinrichtungen, wie sie bereits im „Beutelsbacher Konsens“ (1976) der Bundeszentrale für politische Bildung niedergelegt ist: 1. Das Indoktrinationsverbot, 2. Das Gebot der Kontroversität und 3. Das Gebot der Schülerorientierung.
Offenbar erinnerte sich jedoch keine der Lübecker AkteurInnen an diesen Bildungsauftrag öffentlicher Einrichtungen. Die kontroversen Stimmen schlugen sich zwar vereinzelt in den Leserbriefen der Lübecker Nachrichten nieder ( u.a.27.2.2019. Matthias Krohn schreibt unter dem Titel „Die Blase Meese“ die einzige mir bekannte ausdrückliche Kritik (Lübeckische Blätter 2019/5,S.82). Ein öffentliches Forum für Kritik gab es indes nicht.
Dabei lag eine solche Auseinandersetzung mit der öffentlichen Künstlerfigur Jonathan der gar Schreckliche, seinen Malerei, Skulptur, Grafik und Fotografie über Film, Oper, Installation und Performance bis hin zu Gedichten und Texten – Gesten und Begrifflichkeiten umfassenden Werkstücken auf der Hand. Denn diese national und international vermarktete Künstlerfigur wurde auch in unserer Stadt nicht müde, bei sämtlichen Auftritten seine von ihm selbst als Propagandawerk bezeichneten Werkstücke in Wort, Bild, Film und als Happening volltönend unter die Leute zu bringen.
Eine kleine Auswahl des Lübecker Auftritts Jonathan Frankensteins:
• Diktatur der Kunst, mit dem Diktator Jonathan Frankenstein der Schreckliche
• die notwendige Umwertung aller Werte: Aus Hitler-Gruß wird Meese-Gruß
• Demokratie oder der Weg ins Verderben
• Politik und der Politiker als die willigen Vollstrecker des Danteschen Infernos
• Aus Glaube wird Aberglaube: Gott ist tot
• Die totale Bevormundung: Herrschaft als Ideologie
• Arbeit und Wirtschaft: Die Miserablen der Bevormundung
• Zukunftsfähigkeit: Kunst als grenzenlose Freiheit der Diktatur
• Die Wertlosigkeit demokratischer Wahlen
• Das göttliche Gegenprinzip: Auswahl der Führerpersönlichkeiten durch „die Natur der Sache“
Dieses außerordentliche und eindeutige Branding der kulturpessimistischen und damit hochpolitischen Kunstwelt eines Jonathan Frankenstein, die nach dem klassischen Modell Frankenstein von 1818 in die Spätzeit der Weimarer Republik gebeamt und über deren Wirkungen Fritz Stern in seinem Klassiker „Kulturpessimismus als politische Gefahr, (1961) 2.Auflage, Stuttgart 2018“ alles Notwendige gesagt hat, war dem langjährigen privaten Studienfreund Jonathan Meeses aus gemeinsamen Hamburger Tagen lange bekannt. Dr. Zybok, der Leiter der Lübecker Overbeck-Gesellschaft, hat Meeses Auffassungen 2020 in der Zeitschrift „Kunstforum international“ ausführlich in einem Interview erörtert.
Dr. Zybok sieht Jonathan Meese-Frankenstein beispielhaft für eine bestimmte malerische Haltung zur Politik (Kunstforum international, 2020, Bd. 268, https://www.kunstforum.de/artikel/zwischen-moral-und-ideologie/). Er holte Meese nach Lübeck. Wohlwissend, dass es gerade nicht um bloße Malerei geht, sondern um deren politische und kulturelle Implikationen: um das „Propagandawerk Meese“.
Um die Aufführung einer Kunstfigur, getreu der Erfindung „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ (1818, Mary Shelley), der Kunstfigur Jonathan Frankenstein. Ob Dr.Zybok die mit der Konstruktion dieser Kunstfigur verbundenen Auffassungen seines Freundes teilt oder sich gar als Motor des Propagandawerks in Lübeck von seinem Freund ironisch distanziert? Man hätte das gerne gewusst.
Jedenfalls war bei diesem Branding Jonathan Meeses als Frankenstein der Kunst verständlich, dass sich Meese in der Lübecker Öffentlichkeit nicht als Privatperson würde outen lassen: die Posse Jonathan Frankenstein war und ist dem Kunstmarkt geschuldet. Sie darf nicht plötzlich enden.
Die eifernde Kunstfigur Jonathan Frankenstein jedenfalls verkündet – unterstützt von Mama – seit über 20 Jahren lauthals und unwidersprochen, dass der bestimmungsgemäße Gebrauch sämtlicher rechtsstaatlichen und republikanischen Verfassungsinstitutionen des Grundgesetzes unser Land ins Verderben stürzen werden. Die Demokratie ist der Motor dieser Katastrophe. Nur in der freien Kunst nämlich und mit dem dort herrschenden Diktator wird Erlösung zu finden sein.
Der Künstler-Diktator ist gewissermaßen der Seher, der kindgleich und unschuldig, zugleich aber rücksichtslos und radikal, ohne Bindung an ethische Sperren, den Weg aus dem nationalen Verderben weisen wird. Heil Meese! Das Urteil dieses Diktators (Frauen sind nicht vorgesehen) herrscht über Gegenwart und Vergangenheit der StaatenlenkerInnen, PhilosophInnen, PolitikerInnen und über die IdeologInnen der Wirtschaft. Er und nur „die Sache an sich“, die Frankenstein-Kunst, sollen fortan entscheiden über Gut und Böse, über den Weg in Dantes Inferno oder das Paradies.
Man mag diesen Jonathan Meese als Narr, als Schelm, als Don Quichotte, der gegen Windmühlen kämpft, oder auch nur ganz privat als Künstler betrachten, dessen Potential mit dem Branding der 90er Jahre in seinem 50. Lebensjahr einfach erschöpft ist, und der keinen Not-Absprung aus der Konstruktion findet, also wohl befürchtet, im Dorian-Gray-Syndrom zu enden. Jedenfalls ist der Ausstieg aus der Kunstfigur Jonathan Frankenstein längst überfällig.
Denn in unserem Land verbreitet sich der Wunsch, das „deutsche Volk“ aus der gegenwärtigen Katastrophe herauszuführen mit und ohne Jonathans Kunstspektakel. Über fünf Millionen WahlbürgerInnen haben 2017 die AfD gewählt. Der Präfaschismus regt sich, samt der darin enthaltenen Aufforderung zum Umsturz der gegenläufigen, (noch) herrschenden verfassungsgemäßen Verhältnisse.
Während sich in Deutschland, Europa, den USA, in Russland und China längst der Autoritarismus ausbreitet, braucht es Meeses künstlerische Herabwürdigung der gewählten Eliten und sonstiger Stützen der gesellschaftlichen, staatlichen und religiösen Einrichtungen als Begleitmusik nicht mehr.
Angesichts dieser Entwicklung sollte er dringend über ein neues Branding zur Aufrechterhaltung des Verkaufserfolges am Kunstmarkt nachdenken. Meeses Kunstfigur war längst ein alter Hut, als er in Lübeck noch die Kunstgewaltigen enthusiasmierte. Meeses inzwischen seit Jahren bekannter Aufruf zur diktatorischen Führerschaft darf selbstverständlich nicht konnotieren mit den zunehmenden rassistischen Morden in unserem Land.
Das hat der möglicherweise liebenswürdige, gefühlvolle und intelligente Privatmann Jonathan Meese so doch weder gemeint noch gewollt. Dass beide Narrative indes zusammengehören, das sehen nicht nur kunstferne Juristen so. Den Warnschuss des Amtsgerichts Kassel sollte sich der Künstler deshalb schon zu Herzen nehmen. Genug ist genug. Die „seherischen“ Fähigkeiten des Kunstdiktators Meese waren ja schon vor seiner Geburt obsolet. Ein Besuch im Jüdischen Museum Berlins wäre heute für ihn der kürzeste Weg.
Wenn das aber so ist, dann wurde in Lübeck eine Chance vertan: Den Irrtum der Kunstfigur Jonathan Frankenstein ein für alle Mal an den Nagel zu hängen und mit den damit verbundenen faschistoiden Mythen aufzuräumen. Merke: Der Hitler-Gruß ist ja (nur) dann ein grandioser Missbrauch, wenn ein Faschist ihn bestimmungsgemäß benutzt. Deshalb darf Jonathan Meese als Nicht-Faschist ihn bestimmungsgemäß für sein Propagandawerk gebrauchen. Dem Amtsgericht Kassel (14.8.2013 https://www.lto.de/persistent/a_id/9363/ ) sei für diese Aufklärung Dank.
Kein Wort zu dem anschwellenden völkischem Denken, zu rassistischem Mord und Totschlag im Deutschland unserer Tage. Kein Wort zum grassierenden und digital vernetzten Antisemitismus und Rassismus. Kein Wort vom Menschen Meese zur – auch in Lübeck – missratenen Vergangenheitsbewältigung. Auch über die schwere Gegenwartsbewältigung, über Politik und Moral in Gesellschaft, Staat, Religion und Kunst hätte man nach alledem schon gern etwas gehört. Wenn schon nicht vom im Kunstmarkt befangenen Künstler selbst, dann vielleicht doch von den KuratorInnen.
Des Künstlers Helden Nietzsche mit dem „Willen zur Macht“ und die Weltmacht-Musik des glühenden Antisemiten Wagner, den Meese (oder nur seine Kunstfigur?) so bewundert, haben nicht nur die Völkischen der 20er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts außerordentlich ermutigt und legitimiert.
Auch der Antisemit Heidegger übrigens, dem Meese zum 32.Todestag 2008 eine Performance in Todtnauberg widmete, sandte bekanntlich schon 1933, also zu Zeiten meines Vaters und Meeses Großvaters, einen Willkommensgruß an die Völkischen. Wenn denn das Propagandawerk Meese aber auf eine inhaltliche Generalabrechnung mit der deutschen Vergangenheit hinauslaufen sollte, wo bleibt dann – außer dieser offensichtlichen Ideologie des Propagandawerks – Meeses Kunst?
Aber Lübeck feierte 2019, noch rechtzeitig vor der Pandemie also, Jonathan Meeses Kunstfigur. Ein Menetekel? Nun schweigt man und schweigt. Zumindest eines sei Jonathan Meese alias Frankenstein und den Lübecker „Kunstsachverständigen“ und Kulturverantwortlichen zum Schluss ins Stammbuch geschrieben:
Egal, ob Narr, Schelm, Don Quichotte, der gegen Windmühlen kämpft, oder auch nur der Künstler, dessen über 20 Jahre altes ursprüngliches Potential mit seinem 50. Lebensjahr einfach erschöpft ist und der deshalb verzweifelt Aufmerksamkeit generiert: die Freiheit dazu belässt ihm ausgerechnet die von ihm so verdammte rechtsstaatliche Demokratie.