Von Heinz-J. Bontrup, FR 18,12.20, S.14
Die Finanzlobbys haben die Kontrolle übernommen
Die neoliberalen Staatsverächter sind jedes Mal mit ihrem Latein am Ende, wenn das Ganze (das System) in Gefahr ist. Wir erinnern uns an die weltweite Finanz-, Immobilien- und Wirtschaftskrise von 2007 bis 2009. Und auch jetzt während der Corona-Pandemie gibt es eine weltweit (generalisierende) Rückbesinnung auf den Staat. Selbst die marktradikalsten Neoliberalen und Kapitaleigner besinnen sich dann auf den Briten Sir John Maynard Keynes, der das kapitalistische System mit seinem deficit-spending vor dem Kollaps retten muss. Die Privaten sind nämlich zur Krisenbekämpfung unfähig.
Die Krise ist aber noch nicht ganz überwunden, da wollen die Neoliberalen und das Kapital vom Staat und seinen Interventionen in den Markt nichts mehr wissen. Die krisenbedingt aufgebaute Staatsverschuldung müsse jetzt schnellstens mit einer Austeritätspolitik zurückgeführt werden. Steuererhöhungen und Kapitalschnitte gegen die Reichen durchzusetzen traut sich Politik dagegen nicht und es fehlt auch die notwendige Macht. Dies stellte bereits am 3. Februar 1996 ganz nüchtern der damalige Präsident der Deutschen Bundesbank, Hans Tietmeyer, auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos vor vielen Staatspräsidenten aus der ganzen Welt unumwunden fest, als er sagte: „Ich habe bisweilen den Eindruck, dass sich die meisten Politiker immer noch nicht darüber im Klaren sind, wie sehr sie bereits heute unter der Kontrolle der Finanzmärkte stehen und sogar von diesen beherrscht werden“.
So verwerflich sich das hier auch anhört, aber Tietmeyer formulierte nur, was schon 1996 Realität geworden war. Auch der Finanzwissenschaftler Marc Chesney kommt in einem Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) zu einem verheerenden Befund, wenn er sagt: „Die Finanzlobbys sind in der Lage, ihre Interessen der Gesellschaft aufzuzwingen.“ Und 2020 sagte in diesem Kontext der aus dem Macron-Kabinett zurückgetretene französische Umweltminister Nicolas Hulot auf die Frage, warum er sein Amt aufgegeben habe. „Ich merkte, dass die Politik entmachtet worden ist durch die Finanzwelt.“ Und trotzdem tut die herrschende Politik so, als wäre sie noch im Besitz des staatlichen Gewaltmonopols gegen die Finanzlobbys, wenn schon alleine der Finanzinvestor Blackrock über ein Vermögen von 7,4 Billionen Dollar verfügt.
Der Autor ist Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik.