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Die Zerstörung der kulturellen Identität Lübecks



Mit den Bürgerschaftsbeschlüssen vom 20.3.2023 und vom 27.6.2023 und dem Beschluss des Hauptausschusses vom 10.8.2023 zum Buddenbrookhaus findet die kulturelle Identität der Stadt nach dem 2.Mai 1945 ein Ende. 

Lübeck gründete nach der Katastrophe des Bürgerlichen Zeitalters des 19.und 20. Jahrhunderts mit seinen weltweit rund 187 Millionen Toten (Eric Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme, München Wien 1995, S.26) seine geistige Identität maßgeblich auf  die Botschaft von Persönlichkeiten wie Hans Blumenberg, Willy Brandt, Arnold Brecht, Edmund Fülscher, Erich Klann, Erika Klann, Minna Klann, Hermann Lange, Julius Leber, Heinrich und Thomas Mann, Erich Mühsam, Eduard Müller, Werner Puchmüller, Johannes Prassek, Gustav Radbruch, Karl Friedrich Stellbrink, Fritz Solmitz.

Das Museumsprojekt Buddenbrookhaus, das die Bürgerschaft 2022 mehrheitlich beschlossen hatte, symbolisierte den zukunftsgerichteten Willen und das Bekenntnis der Stadt zum europäischen geistigen Neubeginn nach den vom Deutschen Reich und seiner Bürgergesellschaft verursachten Menschheitsverbrechen.

Dieses Bekenntnis zu einem Neubeginn war bisher über Partei-, Religions-, Klassen- und Vermögensgrenzen hinweg in Lübeck unstreitig. Kern des Denkens dieser Lübecker Widerständler und Widerständlerinnen war die von Hannah Arendt in ihrem 1951 erschienenen Buch „Die Ursprünge des Totalitarismus“ herausgearbeitete grundlegende Unterscheidung von wahr und falsch:

„Eine Mischung aus Leichtgläubigkeit und Zynismus ist in allen Rängen totalitärer Bewegungen verbreitet, und je höher der Rang, desto mehr wiegt der Zynismus die Leichtgläubigkeit auf“. Das heißt, bei denjenigen, die die Öffentlichkeit täuschen, ist der Zynismus stärker, bei denjenigen, die getäuscht werden, ist es die Leichtgläubigkeit, aber die beiden sind nicht so getrennt, wie es scheinen mag. 

Die Unterscheidung zwischen glaubhaft und unglaubwürdig, wahr und falsch ist für Menschen, die empörende und widerlegbare Ideen als Eintrittskarte in eine Gemeinschaft oder eine Identität ansehen, nicht relevant.  Ohne das Joch der Wahrhaftigkeit um den Hals können sie Überzeugungen wählen, die ihrem Weltbild schmeicheln oder ihre Aggression rechtfertigen. Ich betrachte dieses Abgleiten in die Fiktion manchmal als eine Art Amoklauf des Libertarismus – früher sagten wir: „Du hast ein Recht auf deine eigene Meinung, aber nicht auf deine eigenen Fakten.“ 

Wer die Bürgerschaftssitzungen vom 20.3. und 27.6.2023 und die Sitzung des Hauptausschusses vom 10.8.2023 verfolgt hat, bleibt sprachlos zurück. Die Folgen dieser dort offensichtlich gewordenen im falschen Mittelalter steckengebliebenen widerwärtigen und verlogenen Weltsicht der Bürgerschaftsmehrheit für die Identität der Stadt, deren Haushalt, die nationalen und internationalen Nutzer und Nutzerinnen und die Beschäftigten des Museumsprojektes sind heute absehbar: Es ist die Inkaufnahme der Zerstörung der kulturellen Identität des Gemeinwesens Lübeck der Nachkriegszeit.

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Nobelpreisträger Diskurse

In den Lübecker Blättern (LB) stand ein Bericht von Prof.Dr.Klawitter, dem  Vorsitzenden der Overbeck-Gesellschaft, über die Lübecker Werte-Ausstellung. Dieser Bericht war anregend.

Einen etwas längerer Text über den Wirrwarr der Werte und die Abschaffung der Moral (5 Leseminuten) habe ich im Blog aufgenommen. Mein Vorschlag, mit dem Thema „Werte“ ein städtisches Forum zu beginnen, das einmal im Jahr tagt: „Lübecker Nobelpreisträger-Diskurse“, und zwar im Bürgerschaftssaal (der hat überall Mikrofone). Weshalb?

Meine Kritik an der Lübecker Kulturpolitik beginnt mit dem Streit um die Leitlinien zur städtischen Kulturentwicklung, führt über die fehlende Beachtung des Beutelsbacher Konsenses durch die Lübecker Kurator:innen, den Hype der Meese Ausstellung und endet in der Ausstellung über die Alchemie der Stadt. Zugespitzt gesagt, was für eine Hybris: Sperrt die Werte doch in ein Museum – es lebe dann die von allen Werten befreite Kunst! 

Wenn ich das recht sehe, fehlt für eine erfolgreiche Aufarbeitung dieser Fehlent-wicklung eine Auseinandersetzung mit der politischen und geistigen Lage der Stadt von Anfang des 20. Jahrhunderts an. Wenn Sie so wollen, Arbeiterklasse und Bürgertum zusammengesehen. Kulturgeschichtlich betrachtet, am Beispiel von Erich Mühsam und Thomas Mann. Politisch gesehen, am Gegeneinander von Bürgermeister Johann Neumann und Julius Leber. Dieser gesamte kultur-politische Konflikt der 1920er Jahre wird nach 1945 nicht ausgetragen, weil m.E. der Lübecker Milliardär und Stifter Emil Possehl mit seiner wunderbaren Stiftung ein Stück weit davor steht. Dessen dominante deutschnationale Persönlichkeit war nie Gegenstand einer neueren Untersuchung.

Das ist ein guter Ausgangspunkt für eine „Werte-Diskussion“ mit unseren drei Nobelpreisträgern. Deren Werk deckt die Politik der Neuzeit, das 19.Jahrhundert und die Zeit nach 1945 ab. Etwas für Kulturbürger:innen, die sich für die Zukunftsgestaltung miteinander finden wollen. 

Lübeck, Michael Bouteiller,10.12.2022

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Allgemein/Politik/Geschichte

Alchemie der Stadt – Lübeck spricht über Werte

Von Christian Klawitter, Lübeckische Blätter 2022/19, S.336

Reden wir also über Werte. Werte im ethischen Sinn sind ein fester Bestandteil unseres Denkens und unseres Sprachgebrauchs. Zentrales Thema der Ethik ist die Frage nach „dem Guten“. Als wertvoll angesehen wird nur, was für gut befunden wird, was wünschenswert und erstrebenswert ist. Wer das Gute missachtet, stellt sich außerhalb der Wertegemeinschaft. Deshalb werden Werte beschworen und streben nach Einheit.

Werte gibt es viele: Es gibt westliche Werte, europäische Werte, jüdisch- christliche Werte und viele andere Werte mehr. Die wohl größte Wertegemeinschaft ist die Gemeinschaft aller Demokraten, jedenfalls hier bei uns. Länderübergreifend teilen wir gemeinsame Werte in der Europäischen Union und sogar die Nato versteht sich erklärtermaßen als Wertegemeinschaft. Je größer die Wertegemeinschaft desto hochrangiger sind deren Werte, die umso entschlossener verteidigt werden müssen, wann immer sie in Frage gestellt oder sogar angegriffen werden. Wer Werte setzt, macht Werte geltend, und die Geltendmachung verlangt nach Durchsetzung. Den Werten ist ihre handlungsleitende Funktion im- manent.

Carl Schmitt sprach deshalb von der „Tyrannei der Werte“, die wir heute als Straßenblockaden der „Letzten Generation“ oder als Cancel Culture identitärer Bewegungen erleben.

Werte sind also vielleicht doch nicht nur „gut“, wie uns ihre Verfechter Glauben machen wollen. Sie bergen vielmehr Gefahren in sich. Die größte Gefahr liegt in ihrem absoluten Geltungsanspruch. Werte definieren sich maßgebend aus der Negation – dem Unwert. Wer den Wert beansprucht und ihm Geltung verschafft, muss dessen Negation bekämpfen:

„Wen solche Lehren nicht erfreuen, verdient nicht, ein Mensch zu sein“, heißt es bei Sarastro in Mozarts „Zauberflöte“. Der „Gutmensch“ entscheidet darüber, wer Mensch sein darf oder zum Unmenschen degradiert werden kann, der jeden Respekt verwirkt hat und jeden Schutz gegen Angriffe verliert.

Verbrämt wird dieser Anspruch mit einer sich objektiv gebenden Wertsprache. Schon der Begriff „Werte“ führt in die Irre, weil es keine objektiv geltenden und allgemein-verbindlichen Werte gibt, sondern nur subjektiv begründete Wertvorstellungen. Allein schon die sprachliche Verkürzung führt zu einer gedanklichen Verselbstständigung der Werte, zur Abkoppelung vom wertenden Subjekt. So verbindet sich Wertsetzung mit einem Geltungsanspruch, dem zu widersprechen beinahe begriffsnotwendig ins Abseits führt, denn der „Wert“ ist per se gut, Widerspruch dagegen kann also nur ungut sein.

Wie relativ Werte dagegen sind, zeigt sich selbst an einem so evident „richtigen“ Wert wie der Toleranz. „Toleranz“, wusste schon Goethe zu sagen, „sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: dulden heißt beleidigen.“

Richtiger wird man sagen müssen, wer duldet, erhebt sich zum Souverän, zum Herrscher darüber, was geduldet wird und was nicht. Die Geschichte ist voll von opportunistischen Toleranzedikten, die, für den Skeptiker wenig überraschend, zumeist nur von kurzer Dauer waren und für die Geduldeten nicht selten böse endeten.

Allerdings führt das Ende der Toleranz nicht notwendig in den Unwert der Intoleranz. Freiheit vor Intoleranz und Unterdrückung ist ein großer Wert, aber schon Kant wusste, wo die Freiheit des Einzelnen endet, nämlich dort, wo die Freiheit des anderen anfängt. Wo etwas anfängt und wo etwas endet, darf sich indessen nicht nach einer behaupteten „Werteordnung“ richten, die durch kein geregeltes Verfahren legitimiert ist, sondern allein nach Maßgabe der verbindlich geltenden Rechtsordnung. Welche Rechte dem Einzelnen zustehen und welche Grenzen diesem Recht ggf. gezogen sind, bestimmt sich nach unserer Verfassung, dem Grundgesetz, und den diesbezüglichen einfachgesetzlichen Bestimmungen, die ihrerseits grundrechtskonform sein müssen. Werte sind dagegen Setzungen, die im günstigsten Fall das Resultat eines offenen gesellschaftlichen Diskurses sind, im schlimmsten Fall diktatorisch verordnet werden. Außerdem unterliegen Werte stetem Wandel bis zur Beliebigkeit. Wer sich auf Werte verlässt, kann deshalb schnell verlassen sein.

Die Ausstellungsreihe „Alchemie der Stadt“ trägt diesem Befund Rechnung, wenn auch nicht explizit. Sie führt weg von den hehren Setzungen beschworener Wertegemeinschaften und macht sich auf die Suche nach individuellen Wertvorstellungen, die in Stadtgesprächen, Workshops, Diskussions- und Er- fahrungsgruppen offengelegt werden. Dabei werden persönliche Erlebnisse zu Gradmessern von Werterfahrungen. Gemessen werden diese Erfahrungen beispielhaft an Werten wie Respekt, Selbstverwirklichung und Offenheit. Die individuelle Sicht auf diese Kategorien macht sich an Erlebnissen fest, an denen die Bedeutung der Werte für das jeweilige Individuum und damit auch für das Zusammenleben in einer Gemeinschaft offenbar werden.

Diese Rückkopplung individueller Werterfahrungen mit eher abstrakt postulierten Werten begünstigt das Anliegen, die Geltung von Werten zu untermauern und zu rechtfertigen und sie zum anerkannten Kompass ethischen Verhaltens zu machen. Dies gilt umso mehr in einer bevorzugt auf wirtschaftlichen Erfolg gerichteten Gesellschaft, in der Werte nicht selten zu Labels werden, mit denen bestimmte Forderungen wie Respekt oder Offenheit erhoben werden, die in Wahrheit interessengeleitet sind, was den betreffenden Wert zum Wirtschaftsgut verkommen und ihn als Richtschnur gemeinnützigen Handelns unbrauchbar werden lässt. Auf diese Weise werden Werte zu Manipulationstools und also wertlos. Das Lübecker Experiment „Alchemie der Stadt“ tritt dem entgegen.

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Kulturentwicklungsleitlinien Lübeck – 16 Thesen zur politischen Einschätzung

 

Michael Bouteiller, Lübeck, den 11.2.2021
16 Punkte zur Einschätzung der Vorlage „Leitlinien zur Kulturentwicklung“

  1. Unter dem Deckmantel einer „organischen Stadtkultur“ soll – wenn ich das richtig lese – für Lübeck eine im Ergebnis Ideologie-bildende Suprastruktur geschaffen werden.
  2. Sie soll die kulturelle Legitimität Lübecks als „organische Kulturstadt“ erzeugen und begründen.
  3. Die siebenfache Verwendung und Hervorhebung des Wortes „organisch“ in der Vorlage legt nahe, dass Ziel der Autor:innen die grundlegende Wandlung der jetzigen Stadtorganisation hin zu einer flexiblen (flüssigen) Produktionsstätte kultureller Dominanz sein soll.
  4. Diese Produktionsstätte arbeitet vorbei an der Einbettung in Funktionen und Strukturen herkömmlichen kommunalverfassungsrechtlichen Entscheidens.
  5. Deshalb wird in dem Papier – entgegen des Wortlauts- keine inhaltliche Leitlinie vorgeschlagen, sondern es wird unter dem Begriff „Kulturentwicklungskonzept“ in Wirklichkeit eine neue Handlungseinheit geschaffen. Nicht mehr und nicht weniger.
  6. Denn ohne die Handlungseinheit „KTH“ findet sich auf den 54 Seiten der Vorlage lediglich eine (verdienstvolle) Aufstellung vorhandener kulturaffiner Institutionen und Initiativen. Außerdem enthält das Papier Leerformeln.
  7. Die öffentlich-rechtlichen Zuständigkeits- und Verantwortungsketten des kommunalen Verfassungsrechts greifen (nach Einrichtung von KTH) nicht mehr. Gleiches gilt für die Bindungen des kommunalen Finanzrechts.
  8. Die Verbindung einer finanzstarken Stiftung (Possehl) mit der Stadtverwaltung in einer organisatorischen Einheit lässt die Verantwortlichkeiten für städtisches und/oder privates Entscheiden diffus. Die gebotene Trennung von Stftungs- und städtischer Verantwortung entfällt.
  9. Die Einflussnahme der Stiftungsvertreter und der privaten Interessenten, die eigene gewerbliche Zwecke vertreten (Kreativwirtschaft), gegenüber denjenigen der Stadt ist nicht kontrollierbar. Ihre Vertreter:innen stellen sich keiner öffentlichen Verantwortung.
  10. Der Beirat hat nach dem Konzept eine starke Stellung. Die Zusammensetzung wird man sich entsprechend der Zusammensetzung der Arbeitsgemeinschaft „Kulturtreibhaus“ vorstellen können (https://www.kulturtreibhaus.org/idee/arbeitsgemeinschaft-kulturtreibhaus/)
  11. Im Zweifel wird sich der finanzielle Anreiz (Possehl-Stiftung: jährlich ca. 1/4 des Unternehmensgewinns, 2015 waren es ca.15 Mio.€))- gleich, ob und wie das einzelne Projekt gefördert wird oder nicht – in der Projektentscheidung durchsetzen. Städtische Gremien (Bürgerschaft, Ausschüsse, Controlling) werden vor vollendete Tatsachen gestellt.
  12. Das Meese-Projekt 2019 dient dabei als ein Produktions-Beispiel (S.33). Dazu und zu seinen Implikationen: https://michaelbouteiller.de/?page_id=1575
  13. Die beabsichtigte Ansiedlung des KTH bei der LTM ist dysfunktional.
  14. Ein von den Verfasser:innen benutzter Rückgriff auf das Regensburger Modell „Forum Kreativwirtschaft“ ist mit dem hier ins Auge genommenen Gewicht und der Organisationsstruktur KTH nicht vergleichbar.
  15. Mit der Beschlussfassung dieser Vorlage gerät die Stadt in die Hände einer nicht kontrollierbaren (privat-public) „Kreativwirtschaft“, deren Gefahren von mir beschrieben sind: https://michaelbouteiller.de/?page_id=1793
  16. Stattdessen sollten sich die zuständigen städtischen Gremien mit den zukünftigen inhaltlichen Leitlinien einer demokratisch verankerten kulturellen Entwicklung unserer Stadt befassen.