

Ohne dass Senat und Bürgerschaft zuhause in Lübeck etwas Näheres von den Berliner Aktivitäten ihres Mitgliedes mitbekommen hatten, war es dem Regierenden Bürgermeister Lübecks, Dr.Johann Neumann, gelungen, in der Reichshauptstadt seit 1916 (Lübecker Volksbote vom 9.6.1926 Nr.131, S.1) eine entscheidende Position auch im Medienimperium seines alldeutschen Verbandsgefährten Hugenberg einzunehmen, den Vorsitz im Verwaltungsrat des Scherl-Verlages.
Der Scherl-Verlag war das Herzstück des von Alfred Hugenberg aufgebauten Medien- und Zeitungsimperiums. Der Verwaltungsausschuss entspricht dabei dem Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft. Der Scherl-Verlag also, die Spinne im medialen reichsweiten Netzwerk des Propagandisten eines völkischen Nationalstaates (Stern, 26.11.2003, Hugenberg, Hitlers „Steigbügelhalter“, https://www.stern.de/politik/geschichte/alfred-hugenberg-hitlers–steigbuegelhalter–3342658.html, Hugenberg), wurde vom Lübecker Bürgermeister gesteuert.
Hugenberg war nicht nur neben Emil Possehl und dem Kolonialpolitiker Peters, auch „Hänge-Peters“ genannt, der Mitgründer und Organisator des Alldeutschen Verbands. Er hatte noch während seiner Zeit als Vorsitzender im Direktorium der Friedrich Krupp AG (1908-1918) ab 1912 nach und nach den seinerzeit größten Medienkonzern Deutschlands aufgebaut und steuerte ihn im Sinne der Zielsetzungen der Alldeutschen konsequent in den Nationalsozialismus (vgl. auch Alfred Hugenberg,/ https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Hugenberg, abgefragt 16.10.2019).
Das dargestellte Organisationsschema veranschaulicht die Reichweite der propagandistischen medialen Durchdringungsbreite und -tiefe der Hugenbergschen Firmen. Hervorzuheben ist dabei das mit der Allgemeinen Anzeigen GmbH, später Aktiengesellschaft (ALA), angestrebte Anzeigenmonopol auf dem deutschen Medienmarkt. Darüber steuerte Hugenberg auch Lokalblätter, die nicht in seinem Besitz waren. In Lübeck war das die Ala-Anzeigen-Aktiengesellschaft Zweigniederlassung Lübeck.
Der Lübecker Bürgermeister war als Verwaltungsratsvorsitzender des Scherl-Verlages kein unabhängiger Entscheider. Im Konzerngefüge spielte er vielmehr die Rolle des abhängigen treuhänderischen Auftragnehmers von Hugenberg. Gleichwohl konnte er mit seiner, auch ideologischen, Steuerungsfunktion über den Scherl-Verlag und damit auch der Stärkung seiner Einflussnahme im hugenbergschen Medienkonzern seine Lübecker Position ausbauen. Der Lübecker Generalanzeiger war über die ALA (Lübecker Volksbote, 25.3.1933: ALA Zweigniederlassung in Lübeck) in den Händen Hugenberg – Neumanns. Das hat Julius Leber richtig erkannt, wenn er im Lübecker Volksboten 1926 schrieb:
„… Und doch war e r (Hugenberg, MB) der eigentliche unsichtbare Herrscher dieser Stadt, die er selbst vielleicht nie gesehen. Den S t a a t hatte er in der Hand durch sein Oberhaupt, die Presse durch die größte Inseratenplantage. Sein Wille war maßgebend, beschränkt nur durch den leidenschaftlichen Widerstand der darob täglich beschimpften und begeisterten S o z i a l d e m o k r a t i e (Sperrungen im Original, MB).“( Lübecker Volksbote, 8.6.1926).
Leber beschreibt folgerichtig die tatsächlichen damaligen Verhältnisse im Freistaat. Er bestätigt auch den tiefen Hass der Elite des Bürgertums, die innerhalb und über das völkische Netzwerk des AV immer wieder versuchte, die Macht für die konservative Revolution in den Ländern und im Reich an sich zu reißen. Dies geschah heimlich und in den seit Ende des 19. Jahrhunderts dafür geschaffenen Netzwerken des AV. Die Akteure traten selten nach außen offen auf.
Acht Jahre lang (1921 bis 1928) waren Julius Leber und Johann Neumann die Gegenpole in der Lübecker Politik und der öffentlichen Meinung. Am 1. Januar 1921 wurde Johann Neumann Regierender Bürgermeister in Lübeck. Er hatte nicht nur in der Stadt, sondern reichsweit eine hervorgehobene Position. Er war der erste völkische Regierungschef eines Bundesstaates und gehörte mit folgenden 17 Merkmalen zum Führungskader des Alldeutschen Verbandes (AV) und der Völkischen in der Weimarer Republik (vgl. dazu auch https://michaelbouteiller.de/wp-content/uploads/2022/10/Zweimal-Luebeck-221011.pdf).
1. Mitglied der Hauptleitung und des Gesamtvorstandes des AV.
2. Vorsitzender des Ortsverbandes Lübeck des AV.
3. 1912 Schriftführer des von Possehl in Berlin gegründeten Wehrvereins in Lübeck.
4. Er unterstützte den „Wirtschaftlichen Generalstab“ (1914) im Sinne Possehls, eine weitsichtige Vorwegnahme des „Militärisch-Industriellen-Komplexes“ im Sinne Dwight D. Eisenhowers Abschiedsrede von 1961.
5. 1914 beschloss Neumann als Vorstandsmitglied die annexionistischen und rassistischen Kriegszielsvorlage des AV-Vorsitzenden Justizrat Claß.
6. 1914 ff. organisierte er mit Justizrat Claß die reichsweite Zusammenführung der Wirtschaftsverbände im Deutschen Kaiserreich zur Unterstützung der Kriegszielpolitik des AV, im Sinne des „Wirtschaftlichen Generalstabes“ des AV-Gründungsmitgliedes Emil Possehl.
7. 1916 wurde er Vorsitzender des Verwaltungsrates des Scherl-Verlages , ideologischer Kern im völkischen Medienimperium von Hugenberg, samt Gründung einer Niederlassung der Allgemeinen Anzeigen GmbH Hugenbergs in Lübeck.
8. 1916 spendete er 50.000 Mark für den Erwerb der rassistischen „Deutschen Zeitung“, dem Propagandaorgan des ADV, zusammen mit Senator Possehl, der ebenfalls 50.000 Mark einbrachte.
Er ist Mitgründer der »„Neudeutschen Verlags- und Treuhand-Gesellschaft m.b.H“ mit einem (vorläufigen) Kapital von 2 Millionen Mark. Vorstand ist der kaiserliche Geheime Regierungsrat Georg Fritz in Berlin. Gründer sind unter anderem Rechtsanwalt, Heinrich Claß (Mainz), der erste Vorsitzende des altdeutschen Verbandes, Landgerichtsdirektor Karl Lohmann (Blankenese), Dr. Otto, Helmut Hopfen (Starnberg), Senator Dr.Johann Neumann (Lübeck), Oberlandesgerichtssenats-präsident Theodor Thomsen (Charlottenburg). Wie es heißt sollen bereits die großen Berliner Neueste Nachrichten und Deutsche Zeitung von der Gesellschaft erworben worden sein, oder die Gesellschaft soll sich durch finanzielle Unterstützung einen Einfluss auf diese Blätter gesichert haben« (in Badische Landesbibliothek, Bauländer Bote und Boxberger Anzeiger vom 17.2.1917, https://digital.blb-karlsruhe.de/blbz/periodical/pageview/6539890)
9. Er war Organisator des völkischen „Deutschen Abends“ in Lübeck, einer Querschnittsorganisation der Völkischen Vereine unf Verbände in den AV-Gauen, mit starkem Einfluss auf die Politik der ev.-lutherischen Kirche.
10. 1917 benannte ihn der AV-Vorsitzende Claß bei einem Besuch im Hauptquartier gegenüber General Ludendorff als Minister für ein „Kabinett in Feldgrau“, eine Vorbereitungshandlung zum Putsch.
11. Von 1917-1918 war er „Zivilgouverneur“ in Riga, einer gegen den Frieden von Brest-Litowsk gerichteten Annexionsregierung im vom Deutschen Reich besetzten Lettland zur Vorbereitung einer dauerhaften deutsch-völkischen Siedlungspolitik.
12. Am 1.Januar 1921 wurde er der erste völkische Regierende Bürgermeister eines Bundesstaates der Weimarer Republik.
13. 1924 ehrte er durch seine Anwesenheit bei einer Gedenkfeier im Lübecker Dom Albert Leo Schlageter (Max Knie, S.40, https://michaelbouteiller.de/max-knie-15-jahre-luebecker-zeitgeschichte/) Schlageter war das Symbol der Republikfeinde für den völkischen Widerstand gegen die Republik. Schlageter war Soldat im Ersten Weltkrieg und Angehöriger verschiedener Freikorps. Schlageter war Mitglied der NSDAP-Tarnorganisation Großdeutsche Arbeiterpartei. Er wurde wegen Spionage und mehrerer Sprengstoffanschläge im besetzten Ruhrgebiet von einem französischen Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Das öffentliche Auftreten Neumanns für Schlageter war ein deutlicher Kotau des Bürgermeisters vor den Feinden der Republik und ein Affront des Senatspräsidenten gegen seine SPD-Kollegen im Senat und den Mehrheitsfraktionen in der Bürgerschaft. Sein Stellvertreter und AV-Mitglied, Senator Dr.Vermehren, war ebenfalls zugegen. Die Bürgerschaft hatte zuvor die Errichtung eines Denkmals abgelehnt. Ein Findling wurde stattdessen von den Völkischen im Garten des Hindenburghauses (Abgerissen für Bau des Landgerichtes) als Denkmal zelebriert.
14. Im Mai 1926, beim Putschversuch der Alldeutschen, wurde er als Diktator benannt.
15. Ebenfalls 1926 verfälschte er das historische Lübeck-Bild. Er drehte es im Sinne seiner alldeutschen Ideologie um. Aus Anlass der 700-Jahrfeier der Reichsfreiheit erfindet er Lübeck neu. Die Freiheitsurkunde sei, so behauptet er, mir nichts, dir nichts von Friedrich II. wegen des heldenhaften Befreiungskampfes der Deutschen gegen die dänische Besetzung Lübecks verliehen worden.
Die reichsfreie Stadt sieht der Alldeutsche als das völkische Symbol für eine zukünftig erfolgreiche Weltmacht-Politik des Deutschen Reiches, auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Der geeinte germanische Widerstand der Stadt Heinrichs des Löwen habe damals die Reichsfeinde besiegt. In diesem Sinne organisierte er auch 1925/26 die Ausrichtung der Reichsfreiheitsfeier. Das alles war Bullshit.
Denn weder war Heinrich der Löwe der erste Gründer Lübecks, noch war Anlass der Verleihung des Freiheitsbriefes durch den Kaiser der Sieg über die Dänen. Der erste Gründer der Stadt hieß Adolf von Schauenburg, der auch im Rathaus, in der Ausschmückung mit den Wandgemälden des Berliner Malers Max Koch von 1892-94 unterschlagen wird.
Die siegreiche Schlacht von Bornhöved gegen die Dänen schließlich fand 1227 statt, also ein Jahr nach der Verleihung der Urkunde durch den Kaiser im Jahre 1226. Für Neumann war Lübeck fälschlicherweise „civitas imperii“, der Brückenkopf zur Ostkolonisation. Diese Ostkolonisation sei im Interesse, aber ohne Zutun des Reiches, seinerzeit von den „weit blickenden Kaufmannsgeschlechtern“ der Hansestadt betrieben worden.
„So spiegelt sich in Lübeck deutscher Unternehmergeist, deutsches Wissen, deutsches Können und deutscher Lebenswille während des ganzen Mittelalters wider!“
16. Im Herbst 1926, also unmittelbar nach seinem Sturz, veranlasste er die Parteigründung des völkischen Hanseatischen Volksbundes. Er blieb aber parteilos.
17. 1933 benannte die NSDAP zu seinen Ehren die ihnen verhasste Rathenaustraße am Stadtpark in Bürgermeister-Neumann-Straße um, nach ihrem 1928 verstorbenen Beschützer. Die Umbenennung wurde 1947 revidiert.

Mignon 1925
von Erich Mühsam
Kennst du das Land, wo die Faschisten blühn,
im dunklen Laub die Diebslaternen glühn,
ein Moderduft von hundert Leichen weht,
die Freiheit still und hoch der Duce steht?
Kennst Du es wohl?
Dahin! Dahin
möcht ich mir Dir, mein Adolf Hitler, ziehn!
Kennst Du das Haus? Auf Wahlen ruht sein Dach.
Die röm’sche Kammer ist’s und drinnen Krach.
Drei Kommunisten sehn mich blutend an:
Was hat man uns, du armes Kind getan?
Kennst du es wohl?
Dahin! Dahin
möchte ich mit dir, o Krüppel-Kunze, ziehn!
Kennst Du des Mussolini Wolkensteg?
Der Maulheld sucht mit Knebeln seinen Weg;
er würgt die Presse, plagt das Volk aufs Blut
und bebt, daß keiner ihm ein Leides tut.
Kennst Du ihn wohl?
Dahin! Dahin
geht Deutschlands Weg! O Feme, laß uns ziehn!
(1925)
[182] Die Seele des Kindes ist das Allerheiligste im Tempel der Menschheit. In ihr lagert das Glück und die Freiheit der Welt.
In der Seele des Kindes vereint sich das tiefste Wissen um die Schönheit und Güte der Welt mit dem stärksten Mut zum Bekennen der Wahrheit.
Die Seele des Kindes ist der Spiegel unserer Tugenden und die Geißel unserer Fehler.
Wer gegen die Seele des Kindes sündigt, der ist ein Verbrecher an allem Wahren, Guten und Reinen. Seine Sünde wird nie vergeben. Denn sie ist Frevel am Heiligen Geist.
Ein Kind, das an Leib oder Seele darbt, ist größerer Vorwurf gegen die Menschheit als alle Feindschaft und alle Niedertracht der Welt.
Das Kind sei dem Erwachsenen Lehrer und Erzieher. Die Seele des Kindes laßt uns befragen, wenn wir der Zukunft und dem Heil der Menschen dienen wollen. Denn in der Seele des Kindes ist die Vernunft der Wahrheit und das unschuldige Wissen von Gut und Böse.
Was wir dem Kinde zuliebe tun, das laßt uns mit der Seele des Kindes tun. Das heißt: ohne Eigennutz und Falsch, den Blick und die Sehnsucht aber auf Frieden und Zukunft gerichtet.
Berlin 1928